Anatomien
weniger die biotechnologischen Gestaltungsmöglichkeiten als die Albernheiten, die unbeaufsichtigte Naturwissenschaftler anstellen.
2003 nahm eine australische Gruppe namens Tissue Culture & Art an der University of Western Australia zusammen mit dem Künstler Stelarc die Arbeit an einem Werk namens Extra Ear ¼ Scale auf, das die Arbeit der Wissenschaftler sowohl parodiert als auch fortsetzt. Die Künstler wollten eine Nachbildung von Stelarcs Ohr im Maßstab eins zu vier aus menschlichem Gewebe herstellen. Oron Catts und Ionat Zurr, die Künstler hinter Tissue Culture & Art, schrieben über das Experiment in Massachusetts: „Uns begeisterten die skulpturalen Möglichkeiten dieser Technologie. Das Ohr an sich hat eine faszinierende Form, erst recht außerhalb seines normalen Kontexts und auf dem Rücken einer Maus. Jetzt konnte man es in seiner ganzen Schönheit von allen Seiten betrachten.“ Stelarc hat sich inzwischen auf seinem eigenen Unterarm ein lebensgroßes Ohr gezüchtet. Zuerst musste er das Gewebewachstum auf seinem Arm anregen, dann wurde ihm operativ ein poröses Polymergerüst eingesetzt, um das neue Gewebe in Form zu bringen. Chirurgen führten ähnliche Operationen durch, um geschädigte Ohren wiederherzustellen. Stelarc ging jedoch einen Schritt weiter, indem er versuchte, dem Körper ein weiteres funktionierendes Organ zu implantieren. In das Ear on Arm sind ein Mikrofon und weitere elektronische Geräte eingebaut, die alle Geräusche, die das Ohr hört, digitalisieren und über eine Bluetooth-Verbindung übertragen können – Stelarc nennt es ein „Internetorgan“.
Augen
Der französische Philosoph René Descartes verbrachte die fruchtbarste Zeit seines Lebens in der niederländischen Republik, wo er zwischen den akademischen Zentren hin und her pendelte. In Franeker, Dordrecht, Leiden und Utrecht vertiefte er sein mathematisches, physikalisches und physiologisches Wissen, bevor er sich in dem entlegenen Küstendorf Egmond-Binnen niederließ, um seine neue Philosophie zu Papier zu bringen. 1632 hielt er sich in Amsterdam auf. Es ist gut möglich, dass er bei Dr. Tulps anatomischen Demonstrationen im Publikum saß.
Descartes war kein Schreibtisch-Philosoph. Seine radikalen Vorstellungen über den menschlichen Körper als eine Art Maschine und die intellektuelle Konsequenz daraus fußten auf Beobachtungen und eigenen Experimenten. Eines schönen Tages in den 1630er Jahren kaufte er etwa das Auge eines Stiers, weil er die Funktionsweise des Sehsinns besser verstehen wollte.
Die Ergebnisse legte er in seinem Essay La Dioptrique nieder , einem Werk, das weniger bekannt ist als die Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Wahrheitsforschung, in der der berühmte Ausspruch „Cogito ergo sum“ steht: Ich denke, also bin ich. Descartes veröffentlichte La Dioptrique 1637 in Leiden, zusammen mit zwei Bänden über Meteore und über die Geometrie. Die drei Teile und das Vorwort sollten zu jener großen Abhandlung über die Welt gehören, deren andere Kapitel er zurückhielt, weil sie durch Galileis Entdeckung, dass die Erde sich um die Sonne dreht, plötzlich veraltet waren.
Die Auseinandersetzung mit dem Auge beginnt mit einem Schaubild: „Wenn man das Auge entzweischneiden könnte, ohne die darin befindlichen Flüssigkeiten zu verlieren oder irgendwelche Teile zu bewegen, und wenn dieser Schnitt direkt durch die Mitte der Pupille führte, sähe das Ergebnis so aus wie auf der folgenden Abbildung“, erklärt er. Angesichts des philosophischen Themas ist es interessant, dass Descartes uns auf etwas hinweist, was wir aus den von ihm genannten Gründen gar nicht sehen können. Der folgende Text beschreibt alle von Descartes auf dem Schaubild beschrifteten Teile: die feste äußere Haut des Auges, eine lockere zweite Haut, die „wie ein Gobelin“ an der ersten hängt, den Sehnerv und seine Verzweigungen, die sich auf der Innenseite des Auges in einer fleischigen, dritten Schicht um Venen und Arterien winden, und drei Bereiche mit verschiedenen durchsichtigen Flüssigkeiten, die das Innere der Kugel füllen.
Und wie können wir mithilfe einer solchen Apparatur sehen? Descartes nahm sein Ochsenauge zur Hand und schälte sorgfältig mit einem Skalpell die äußeren Schichten weg, bis er durch die Hinterseite schauen konnte. Dann positionierte er das Auge in einem nahe dem Fenster in einem abgedunkelten Zimmer platzierten Behälter und richtete es
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