Anatomien
den 1980ern“ mitwirkte. In einem Fragebogen erkundete er das Selbstbewusstsein und den Kampfgeist der teilnehmenden Frauen, und ganz nebenbei bat er sie auch darum, die Länge ihrer Finger zu messen. Das Ergebnis war, dass Frauen, deren Zeigefinger nur wenig länger war als ihr Ringfinger, sich „männlicher“ verhielten (wobei offenbar gleich mitbewiesen wurde, dass Selbstbewusstsein eine männliche Eigenschaft ist). Die Umfrage schien zu bestätigen, dass die Längenverhältnisse der Finger etwas mit dem Testosteronniveau zu tun haben, dem ein Embryo ausgesetzt war. Die Längenverhältnisse wurden inzwischen auch in Studien zu sexueller Selektion, sexueller Orientierung, Fruchtbarkeit, räumlichem Vorstellungsvermögen, Sportlichkeit, Musikalität, (dem vor allem bei Männern vorkommenden) Autismus und zum Erfolg bei Finanzgeschäften berücksichtigt.2010 stießen Wissenschaftler an der Universität Warwick auf Anzeichen, dass Männer mit längeren Zeigefingern mit geringerer Wahrscheinlichkeit an Prostatakrebs erkranken würden. Die Hände haben uns offenbar mehr zu sagen, als wir dachten.
Die folgenreichste und umstrittenste Entdeckung war sicher, dass eine Hand dominanter ist als die andere. Die Entscheidung zugunsten der rechten Hand fällt schon früh im Leben. Es gibt Hinweise darauf, dass die meisten Embryos ab der 15. Schwangerschaftswoche lieber am rechten als am linken Daumen lutschen. Peter Hepper von der Belfaster Queen’s University hat eine Reihe von Müttern vor und nach der Geburt begleitet, und alle Kinder, die vor der Geburt Rechtshänder waren, waren es auch danach. Die meisten Linkshänder blieben ebenfalls bei ihrer Lieblingshand, aber nicht alle.
Wir finden es offensichtlich irritierend, dass wir unsere scheinbar symmetrischen Gliedmaßen so asymmetrisch nutzen. Die Ungleichheit zwischen Rechts und Links ist einer der frühsten Diskriminierungsgründe. Die Bibel erklärt wiederholt, dass Gottes rechte Hand ebenso wie die rechte Hand des Menschen wichtiger ist. Scheinbar willkürlich beschließt Gott im Matthäus-Evangelium, „zu denen zur Linken zu sagen: Geht von mir, Verfluchte, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln“, während die zur Rechten „das ewige Leben“ erhalten. Ganze Wortfelder stehen uns zur Verfügung, wenn wir Linkshänder beleidigen wollen, und in vielen Sprachen sind schon die Begriffe „rechts“ und „links“ positiv bzw. negativ konnotiert. Die englische Sprache hat sich aus anderen Sprachen die Begriffe gauche, sinister und cack-handed geborgt. Letzterer erinnert daran, was man mit der linken Hand einmal weggewischt hat. Ich besitze ein Buch über die Symmetrie, in dessen Register steht: „ laevo-, siehe dextro- “. Also etwa: „ links, siehe rechts “. Na vielen Dank auch. Die politische Linke, deren Beurteilung jedem Leser selbst überlassen bleibt, führt ihren Namen auf die Sitzordnung in der französischen Nationalversammlung zurück, in der die Revolutionäre nach 1789 links saßen.
Linkshänder sind eine Minderheit, aber wie groß sie ist, weiß man nicht genau. Die Psychologin Charlotte Wolff stellte 1942 fest, dass „heutzutage höchstens zwei bis drei Prozent der Bevölkerung Linkshänder sind“. Jüngste Untersuchungen ergaben dagegen, dass vielleicht sogar ein Drittel aller Kinder Linkshänder wären, wenn man sie nur ließe. Das entspricht etwa der Verteilung bei den Steinzeitmenschen, wie wir aus der Form ihrer Äxte schließen können. In vielen sozialen Situationen besteht die Erwartung, dass wir alle Rechtshänder sind – auch Linkshänder müssen die rechte Hand ihres Gegenübers schütteln. Der soziale Druck könnte dazu führen, dass nur wenige Menschen bekennende Linkshänder sind, unter den Rekruten in der US Army beispielsweise nur etwa acht Prozent.
Dass man systematisch gegen Linkshändigkeit vorgeht, war nicht schon immer so. Zu den kuriosen Statistiken, die die Kommentatoren langweiliger Cricket-Spiele vom Stapel lassen, gehörte die Beobachtung, dass im Jahre 2000 zum ersten Mal überhaupt die ersten vier Schlagmänner Linkshänder waren – und seitdem sei das bei 28 Spielen so gewesen. Das ist bemerkenswert, immerhin wird die Statistik seit 1877 geführt. Natürlich könnte es einfach zufällig viele talentierte linkshändige Schlagmänner geben, aber wahrscheinlicher ist es, dass die Linkshändigkeit heute weniger effektiv sanktioniert wird. In vielen Sportarten genießen Linkshänder sogar
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