Anbetung
aus dem schwärzesten Obsidian zu sein, wenn auch aus einer Variante, der es an Glanz und Schimmer fehlte.
Ich bin nicht frei von Angst. Wenn man mich zu einem hungrigen Tiger in den Käfig werfen sollte, dann werde ich, falls ich entkomme, ebenso ein Bad und saubere Hosen brauchen wie jeder andere.
Mein einzigartiger Pfad durchs Leben hat mich allerdings zwar gelehrt, Bedrohungen zu fürchten, das Unbekannte hingegen kaum. Die meisten Leute fürchten beides.
Feuer macht mir Angst, durchaus, auch Erdbeben und Giftschlangen tun das. Den größten Schrecken jagen mir Menschen ein, weil ich nur zu gut weiß, zu welcher Grausamkeit die Menschheit fähig ist.
Die beängstigendsten Geheimnisse der Existenz aber – der Tod und was sich jenseits davon befindet – haben keinen Angstfaktor für mich, weil ich täglich mit den Toten zu tun habe. Außerdem vertraue ich darauf, dass es dort, wo ich letztlich hingehe, nicht nur Vergessen gibt.
Sitzt man in einem Gruselfilm, wünscht man sich dann, dass die in Gefahr befindlichen Figuren schleunigst das Spukhaus verlassen, dass sie gescheit werden und endlich abhauen? Sie stecken die Nase in Zimmer, in denen blutige Morde stattgefunden haben, in schattige Dachböden mit Spinnweben, in Keller voller Kakerlaken und Kakodämonen, und wenn sie dann so opulent zerhackt/erstochen/ausgeweidet/geköpft/verbrannt werden, dass selbst die psychotischsten Regisseure Hollywoods zufrieden sind, dann sagen wir: »Ihr Trottel!«, weil sie ihr Schicksal wegen ihrer Dummheit mehr als verdient haben.
Ich bin nicht dumm, gehöre aber zu denen, die nie aus einem Spukhaus fliehen. Die besondere Gabe eines zweiten Gesichts, mit der ich geboren wurde, drängt mich, solche Orte zu erforschen,
und ich kann den Forderungen meines Talents genauso wenig widerstehen wie ein musikalisches Wunderkind, das von Klavieren wie von einem Magneten angezogen wird. Tödliche Gefahren schrecken mich dabei nicht mehr ab als einen Kampfpiloten, der darauf brennt, in den vom Krieg zerrissenen Himmel aufzusteigen.
Unter anderem ist das der Grund, weshalb Stormy sich gelegentlich fragt, ob meine Gabe nicht vielleicht ein Fluch sein könnte.
Am Rand der makellosen Schwärze hob ich die rechte Hand, als wollte ich einen Eid schwören – und drückte die Handfläche an die scheinbare Barriere vor mir. Obwohl die Dunkelheit offenbar jedes Licht abwehren konnte, bot sie dem Druck, den ich ausübte, keinerlei Widerstand. Meine Hand verschwand einfach im Dunkel.
Mit »verschwand« meine ich, dass ich hinter der Oberfläche dieser Mauer aus Finsternis nicht einmal die leiseste Andeutung meiner wackelnden Finger wahrnehmen konnte. Mein Handgelenk endete so abrupt wie das eines Amputierten.
Ich muss zugeben, dass mir das Herz raste, obgleich ich keinen Schmerz verspürte, und dass ich erleichtert – und geräuschlos – ausatmete, als ich die Hand zurückzog und sämtliche Fingerglieder unversehrt sah. Ich fühlte mich so, als hätte ich eine Illusion überlebt, wie sie Penn und Teller, die selbst ernannten bösen Jungs der Zauberkunst, auf der Bühne vorführen.
Als ich dann jedoch über die Schwelle trat, nicht ohne mich mit einer Hand am Türrahmen festzuhalten, da geriet ich nicht in eine Illusion, sondern an einen realen Ort, der mir unwirklicher als jeder Traum vorkam. Die Schwärze vor mir blieb gespenstisch rein, die Kälte war unerbittlich, und die Stille schottete mich so wirksam von allen Geräuschen ab wie geronnenes Blut in den Ohren eines Toten mit Kopfschuss.
Obgleich ich von der anderen Seite der Schwelle aus nicht in der Lage gewesen war, auch nur ein Fünkchen dieses Raums zu erkennen, konnte ich von innen hinausblicken und sah den Flur unbehindert in normalem Licht. Diese äußere Szenerie erleuchtete das Zimmer allerdings nicht stärker, als es ein Gemälde mit einer sonnigen Landschaft getan hätte.
Es hätte mich nicht gewundert, wenn der Pilzmann zurückgekehrt wäre und auf den einzigen Teil von mir gestiert hätte, der von draußen sichtbar war – auf meine verzweifelt gekrümmten Finger, mit denen ich mich an den Türpfosten klammerte. Glücklicherweise war ich jedoch immer noch allein.
Nachdem ich entdeckt hatte, dass ich den Flur sehen und daher problemlos hinausfinden konnte, ließ ich den Pfosten los. Vorsichtig trat ich ganz in die lichtlose Kammer und wurde, als ich mich vom Anblick des Flurs abwandte, schlagartig ebenso blind wie taub.
Ohne etwas zu sehen oder zu hören, verlor ich
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