Anbetung
und durch die Tür der schwarzen Kammer folgen müssen.
Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob so etwas wie eine Zeitschleife überhaupt möglich ist. Ein Physiker hätte für meine Befürchtung wahrscheinlich ohnehin nur ein müdes Lächeln übrig gehabt und mich als hoffnungslosen Laien bezeichnet. Das Ganze war jedoch meine Krise, und ich fühlte mich berechtigt, ohne jede Einschränkung zu spekulieren.
Keine Angst, es hat sich keine Zeitschleife gebildet. Der Rest meiner Geschichte wird also nicht aus endlosen Wiederholungen der bereits geschilderten Ereignisse bestehen – obwohl ich gute Gründe hätte, mir das zu wünschen.
Weniger zögerlich als bei meinem ersten Besuch in der schwarzen Kammer schritt ich auf das blutrote Licht im Zentrum zu. Wieder überkam mich ein leichter Schwindel, weil ich das Gefühl hatte, ein Stück über dem Boden zu schweben. Das Licht der geheimnisvollen Lampe kam mir jetzt unheilvoller vor; die Dunkelheit milderte es genauso wenig wie zuvor.
Zweimal warf ich einen Blick zurück auf die Tür und den Flur dahinter, ohne mich zu sehen. Dennoch trat plötzlich dasselbe gyroskopische Kreiseln ein wie zuvor, und wieder wurde ich aus dem seltsamen Raum geschleudert …
… diesmal in den heißen Julinachmittag. Ohne es zu wollen, trat ich aus dem Schatten des Carports in einen Sonnenschein, der mir wie eine Hand voll goldener Nadeln in die Augen stach.
Ich blieb stehen, kniff die Augen zu und zog mich ins Dunkel zurück.
Die tiefe Stille, die im Haus herrschte, reichte nicht über dessen Wände hinaus. In der Ferne bellte träge ein Hund. Auf der Straße fuhr ein alter Pontiac mit ratterndem Motor und quietschendem Keilriemen vorbei.
Überzeugt davon, nicht mehr als eine Minute in der schwarzen Kammer verbracht zu haben, sah ich wieder auf meine Armbanduhr. Offenbar war ich nicht nur aus dem Haus geschleudert worden, sondern auch fünf oder sechs Minuten in die Zukunft.
In dem halb verbrannten Rasen und dem struppigen Unkraut entlang dem Maschendrahtzaun zum nächsten Grundstück schrillten Zikaden; sie schrillten, als würde der von der Sonne beschienene Teil der Welt von unzähligen Kurzschlüssen heimgesucht.
Viele Fragen kamen mir in den Sinn. Keine davon betraf die Vorteile einer Karriere im Reifenhandel oder die finanziellen Strategien, mit denen sich ein zwanzigjähriger Grillkoch am besten auf seinen Ruhestand mit fünfundsechzig vorbereiten konnte.
Ich fragte mich, ob ein Mann, der ständig ein schwachsinniges Lächeln zur Schau trug, der es nicht schaffte, sein Haus in Ordnung zu halten, und der so widersprüchlich war, dass er abwechselnd Schundmagazine und Liebesromane las – ob dieser Mann wohl ein geheimes Supergenie sein konnte, das sich im Großmarkt ein paar elektronische Komponenten besorgt und einen Raum seines bescheidenen Hauses damit in eine
Zeitmaschine verwandelt hatte. Die merkwürdigen Dinge, die mir im Lauf der Jahre begegnet sind, haben zwar fast den letzten Tropfen Skepsis aus mir herausgepresst, aber die Idee mit dem Supergenie befriedigte mich trotzdem nicht.
Ich fragte mich, ob es sich bei dem Pilzmann überhaupt um einen Menschen handelte – oder um etwas in der Nachbarschaft bisher völlig Unbekanntes.
Ich fragte mich, wie lange er schon hier wohnte, als was er sich ausgab und was letztlich seine Absichten waren.
Ich fragte mich, ob die schwarze Kammer vielleicht doch keine Zeitmaschine, sondern etwas noch Seltsameres war. Womöglich war die Zeitverschiebung nur eine Nebenwirkung ihrer primären Funktion.
Ich fragte mich, wie lange ich noch im Schatten des windschiefen Carports stehen und über die Lage nachgrübeln wollte, anstatt etwas zu unternehmen.
Die Tür zwischen Carport und Küche, durch die ich ins Haus gelangt war, war anschließend hinter mir ins Schloss gefallen. Wieder drückte ich mit meinem laminierten Führerschein den Schnapper auf, zufrieden darüber, dass ich endlich etwas für die gezahlte Einkommenssteuer zurückbekam.
In der Küche verschrumpelte noch immer die braune Bananenschale auf dem Schneidbrett. Auch um die schmutzigen Teller im Spülbecken hatte sich keine zeitreisende Hausgehilfin gekümmert.
Im Wohnzimmer lagen noch immer Pornozeitschriften und Liebesromane verstreut, aber als ich es halb durchquert hatte, blieb ich abrupt stehen, verblüfft von dem, was sich verändert hatte.
Ich konnte normal hören. Auf dem alten Linoleum der Küche hatten meine Schritte geknarzt, die Schwingtür des
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