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Anbetung

Anbetung

Titel: Anbetung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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rasch die Orientierung. Ich tastete nach dem Lichtschalter, fand ihn und knipste ihn an, aus und wieder an, ohne jede Wirkung.
    Da fiel mir ein kleines rotes Licht auf, das gerade eben bestimmt noch nicht da gewesen war. Es war das mörderische Rot eines düsteren, blutigen Auges, aber es war kein Auge.
    Mein Sinn für räumliche Realität und meine Fähigkeit, Entfernungen exakt abzuschätzen, hatten mich offenbar im Stich gelassen, das winzige Licht schien nämlich meilenweit von meinem Standort entfernt zu sein. Es sah aus wie das Mastlicht eines weit entfernten Schiffes auf dem nächtlichen Meer. In einem derart kleinen Haus konnte sich natürlich kein so riesenhafter Raum befinden, wie ich ihn vor mir zu haben meinte.
    Als ich den nutzlosen Lichtschalter losließ, fühlte ich mich so irritierend aufgekratzt wie ein durstiger Säufer, der Alkoholdämpfe schnupperte. Meine Füße schienen kaum richtig den
Boden zu berühren, während ich entschlossen auf das rote Licht zuging.
    Hätte ich bloß eine zweite Kugel Kokos-Kirsch mit Schokosplittern verputzt, als ich noch Gelegenheit dazu hatte, dachte ich, während ich mich sechs, zehn, zwanzig Schritte vorbewegte. Das Licht wurde nicht größer; es schien sogar mit genau derselben Geschwindigkeit vor mir zurückzuweichen, mit der ich mich ihm näherte.
    Ich blieb stehen, drehte mich um und blickte zur Tür zurück. Obwohl ich dem Licht nicht näher gekommen war, hatte ich offenbar eine Entfernung von etwa zwölf Metern zurückgelegt.
    Von noch größerem Interesse als die bewältigte Entfernung war die Gestalt, deren Silhouette in der offenen Tür stand. Nicht der Pilzmann. Vom Flurlicht von hinten beleuchtet, stand da … ich.
    Obgleich mir die Geheimnisse des Universums keine große Angst einjagen, habe ich meine Fähigkeit zu Erstaunen, Verwunderung und Ehrfurcht nicht verloren. Nun spielten diese drei Gefühle Arpeggios auf der Klaviatur meines Geistes.
    Überzeugt, dass es sich nicht um eine Spiegelung handelte und dass ich tatsächlich ein anderes Ich erblickte, überprüfte ich meine Vermutung dennoch, indem ich winkte. Der andere Odd Thomas erwiderte das Winken nicht, wie es ein Spiegelbild getan hätte.
    Weil ich in diese sumpfige Schwärze eingetaucht war, konnte er mich natürlich nicht sehen, weshalb ich versuchte, ihm etwas zuzurufen. In der Kehle spürte ich zwar das Vibrieren meiner Stimmbänder, doch falls tatsächlich Laute entstanden, dann konnte ich sie nicht hören. Wahrscheinlich war auch mein anderes Ich für meinen Schrei taub.
    So vorsichtig, wie auch ich es vor kurzer Zeit getan hatte, streckte der zweite Odd Thomas eine forschende Hand in die
greifbare Dunkelheit und staunte genau wie ich über die Illusion, amputiert zu sein.
    Offenbar störte dieses zaghafte Eindringen ein empfindliches Gleichgewicht, die schwarze Kammer bewegte sich nämlich urplötzlich wie die Rotationsachse eines Gyroskops, während das rote Licht im Zentrum unverändert blieb. Von Kräften ergriffen, auf die ich keinen Einfluss hatte, ging es mir wie einem Surfer, der von seinem Brett in die zusammenbrechende Walze einer Riesenwelle geschleudert wird: Ich wurde auf geheimnisvolle Weise aus der seltsamen Kammer gewirbelt und landete …
    … in dem trostlosen Wohnzimmer.
    Erstaunlicherweise lag ich nicht zusammengesackt am Boden, wie zu erwarten gewesen wäre, sondern stand ungefähr da, wo ich vorher gestanden hatte. Ich hob einen der Liebesromane auf. Wie vorher gaben die Seiten keinen Ton von sich, und ich hörte nur Geräusche inneren Ursprungs wie mein schlagendes Herz.
    Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr, um mich zu überzeugen, ob es tatsächlich vorher war. Die Vermutung bestätigte sich. Ich war also nicht nur wie durch Zauberhand aus der schwarzen Kammer ins Wohnzimmer befördert worden, sondern in der Zeit auch einige Minuten rückwärts.
    Da ich erst vor einem Augenblick gesehen hatte, wie ich selbst vom Flur aus in die Schwärze lugte, war anzunehmen, dass ich aufgrund irgendeiner Anomalie der physikalischen Gesetze in diesem Haus nun in doppelter Ausführung existierte. Das eine Ich stand hier im Wohnzimmer mit einem Roman von Nora Roberts in Händen, das andere Ich befand sich in irgendeinem anderen Raum.
    Ich habe euch ja gleich anfangs darauf hingewiesen, dass ich ein ungewöhnliches Leben führe.

    Die vielen unglaublichen Erfahrungen, die ich gemacht habe, haben mich geistig so beweglich und fantasievoll werden lassen, dass manche mich als

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