Anbetung
die das restliche Haus prägten, war hier nichts zu sehen. Wenn der Pilzmann diese Schwelle überquerte, ließ er seine Schlampigkeit zurück und wurde zu einem Muster an Sauberkeit.
In den Aktenschränken fanden sich penibel geführte Mappen, gefüllt mit Zeitungsausschnitten und aus dem Internet heruntergeladenen Artikeln. Schublade für Schublade enthielt Dossiers über Serienkiller und Massenmörder.
Die Auswahl reichte von Jack the Ripper im viktorianischen England bis zu Osama Bin Laden, für den die Hölle eine spezielle Suite aus feurigen Räumen bereithält. Es fanden sich Ted Bundy, Jeffrey Dahmer und Charles Whitman, der Todesschütze, der 1966 in Austin, Texas, sechzehn Menschen ermordet hat. Und John Wayne Gacy, der gern als Clown verkleidet auf Kinderpartys auftrat, sich bei einer politischen Veranstaltung mit Rosalynn Carter, der damaligen First Lady, fotografieren ließ und nebenbei im Garten und unter seinem Haus zahlreiche zerstückelte Leichen verscharrte.
Eine besonders dicke Akte war Ed Gein gewidmet, der als Vorbild für Norman Bates in Psycho und für Hannibal Lecter in Das Schweigen der Lämmer gedient hat. Gein aß seine Suppe gern aus einem menschlichen Schädel und hatte sich aus den Brustwarzen ausgegrabener Toter einen schicken Gürtel gebastelt.
Die unbekannten Gefahren des schwarzen Zimmers hatten mir nicht den Mut genommen, aber was ich hier zu sehen bekam, war das nur allzu bekannte Böse. Bei jedem neuen Aktenschrank hielt ich vor Grauen den Atem an und sah meine Hände zittern, bis ich endlich die zuletzt geöffnete Schublade zuknallte und beschloss, keine weitere aufzuziehen.
Da meine Erinnerung durch den Inhalt der Mappen aufgefrischt worden war, wusste ich nun die Namen der Männer auf den großen Fotos, die das von Charles Manson flankierten.
Rechts von Manson hing ein Porträt von Timothy McVeigh. Er war für den Bombenanschlag auf das Bundesgebäude in Oklahoma City verantwortlich, bei dem 1995 hundertachtundsechzig Menschen ums Leben kamen. Inzwischen hat man ihn verurteilt und hingerichtet.
Links hing Mohammed Atta, der das erste der beiden Verkehrsflugzeuge ins World Trade Center gesteuert und damit tausende von Menschen getötet hat. Da ich keinerlei Hinweise dafür entdeckt hatte, dass der Pilzmann mit den Ideen radikaler islamistischer Fundamentalisten sympathisierte, bewunderte er an dem Terroristen Atta wohl dasselbe wie an Manson und McVeigh: die grausame Vision, das brutale Vorgehen und die Meisterschaft im Dienst des Bösen.
Dieser Raum war weniger ein Arbeitszimmer als ein Schrein. Nachdem ich genug, ja zu viel gesehen hatte, wollte ich eigentlich das Haus verlassen. Ich sehnte mich danach, zu Tire World zurückzukehren, den Duft auf die Straße wartenden
Gummis zu riechen und darüber nachzudenken, was jetzt zu unternehmen war.
Stattdessen setzte ich mich auf den Bürostuhl. Obwohl ich nicht zimperlich bin, zuckte ich leicht zusammen, als ich unbedacht die Armlehnen berührte, auf denen die Hände des Pilzmanns geruht hatten.
Auf dem Schreibtisch befanden sich ein Computer samt Drucker, eine Messinglampe und ein Terminkalender. Auf keiner Oberfläche war auch nur ein Stäubchen oder Fussel sichtbar.
Ich ließ den Blick durchs Zimmer schweifen und überlegte, wie es wohl zu der schwarzen Kammer werden konnte, um sich dann anschließend in etwas ganz Gewöhnliches zurückzuverwandeln.
An den Metallkanten der Aktenschränke glomm nicht der kleinste Rest Elmsfeuer oder übernatürliche Energie. Auch Geister aus dem Jenseits offenbarten sich mir keine.
Für eine Weile war dieses Zimmer verwandelt worden – in ein Portal, eine Tür zwischen Pico Mundo und einem wesentlich seltsameren Ort, womit ich nicht Los Angeles oder Bakersfield meine. Vielleicht war dieses Haus eine Zeit lang ein Bahnhof zwischen unserer Welt und der Hölle gewesen, falls es die Hölle tatsächlich gab.
Oder ich wäre, wenn ich das blutrote Licht im Zentrum der vollkommenen Dunkelheit erreicht hätte, in einem entfernten Arm der Galaxis gelandet, auf einem Planeten, wo Bodachs herrschten. So weit war es nicht gekommen, da ich keine Bordkarte vorzuweisen hatte und deshalb beim ersten Versuch ins Wohnzimmer und die Vergangenheit geschleudert worden war und beim zweiten in den Carport und die Zukunft.
Natürlich zog ich auch die Möglichkeit in Betracht, dass das, was ich gesehen hatte, nur eine Sinnestäuschung gewesen war.
Womöglich war ich so durchgeknallt wie eine Laborratte, die
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