anderbookz Short Story Compilation II
ließ die blutverkrusteten Kleider neben den Diwan fallen. Bevor sie in das warme Wasser stieg, schaute sie zu Gilda, die taktvoll einen Punkt über ihrem Kopf fixierte. Gilda hob die Kleider auf, drückte sie im Hinausgehen an ihren Körper, ohne deren verschmutzten Zustand zu beachten. Nach der Wäsche kauerte sich das Mädchen im Nachthemd auf den Diwan und hüllte sich in ein Fransentuch, das über der Rückenlehne hing. Sie hatte die Zöpfe gelöst, das Haar gewaschen und mit dem feuchten Handtuch fest umhüllt.
Gegen die nächtliche Kühle zog sie die Beine unter sich; lauschte, die Augen auf die Schatten gerichtet, die die Lampe warf, der fernen Klaviermusik. Gilda kehrte rasch zurück, gefolgt von Macey, die mit verdrossener Miene ein Tablett mit Speisen auf einem Beistelltisch absetzte. Gilda schob einen großen, fest gepolsterten Stuhl zum Diwan hinüber, und Macey zündete eine zweite Lampe an, wobei sie verstohlen auf das seltsame, dünne, schwarze Mädchen schaute, das so afrikanisch aussah. Macey vermied es, ihre Nase in fremde Angelegenheiten zu stecken, schon gar nicht in die ihrer Chefin. Aber der Ausdruck in Gildas Augen verriet ihr etwas. Gelegentlich, wenn auch sehr selten, hatte Miss Gilda diesen quicklebendigen, die Gegenwart umfassenden Blick. Vielleicht war es auch nur Neugierde. Macey und die Waschfrau, die beide außer Haus wohnten, sprachen oft über den schwermütigen Ausdruck in Gildas Augen. Als sähe Gilda etwas, das allein in ihrem Kopf existierte. Aber Macey, die nur mit der Köchin Bernice und gelegentlich mit Bird zu tun hatte, ließ ihre Einbildungskraft zu Hause. Außerdem hielt sie nichts von Voodoo-Zauberei und war überdies eine schlechte Katholikin.
Natürlich gab es in der Gemeinde Gerede, vor allem seitdem Bird im Woodard’s lebte. Falls Gilda irgendeiner Religion anhing, dann keiner Macey bekannten, da war sie sich sicher. Miss Gilda hatte diesen lebendigen Gesichtsausdruck nur abends, wenn sie mit Bird zusammen war und sie miteinander plauderten und Notizen machten. Über manche Dinge sollte man besser nicht nachdenken, also machte Macey kehrt und eilte zu Bernice und ihrem gemeinsamen Kartenspiel. Gilda legte Speisen auf und goß Rotwein ein. Das Mädchen schaute ängstlich zu ihr hinüber, wirkte aber überwältigt vom würzigen Duft des Essens und von der Sauberkeit des Zimmers. Ihr Körper entspannte sich, indes sich ihre Seele weiterhin auf der Flucht befand, von Fragen gequält: Wie weit entfernt ist die Plantage, wer ist diese Frau, wie kann ich ihr entkommen.
Während sie das Mädchen anschaute, konnte Gilda nur mit Mühe ihre Aufregung unterdrücken. Von der ersten Sekunde an hatte sie die klare Entschlossenheit fasziniert, die aus den dunklen Augen sprach. Dahinter zeichnete sich kindliche Zielbewußtheit ab, aber auch eine erwachsene Hartnäckigkeit, die tiefer ging. Die Erinnerung an Bird wurde wach. So hatte auch sie geschaut, als sie vor vielen Jahren von ihrem einzigem Besuch bei ihrem Stamm, den Lakotas, zurückkehrte. Hinter der Maske eiserner Entschlossenheit verschmolzen Intensität, Neugier und Verletzlichkeit.
Und, wichtiger noch, hinter diesen Augen sah Gilda sich selbst - eine jüngere Sie , an die sie sich kaum erinnerte, eine Sie , die sich nicht wohlfühlte, wenn andere Menschen Entscheidungen für sie trafen oder wenn sie nicht selbst ihren Weg suchen konnte. Und sie entdeckte im Blick des Mädchens dasselbe Bedürfnis nach Familie. Sie schloß die Augen und meinte den Moschusduft ihrer Mutter wahrzunehmen. Fast hätte sie die Hand ausgestreckt nach diesem Schemen ihrer Vergangenheit. Aber sie hielt den Atem an und schüttelte leicht den Kopf. Gilda wußte nun, sie wollte, daß das Mädchen blieb.
Während das Mädchen aß, waren auf einmal Antworten da auf die unausgesprochenen Fragen in ihrem Kopf. Verblüfft ging ihr auf, wo sie war und was es mit dieser Frau auf sich haben könnte. Abrupt stellte sie ihr Glas ab und starrte in Gildas schmales Gesicht. Obwohl Gilda der Lampe den Rücken zuwandte, war ihre Aufregung sichtbar. Ihr dunkelbraunes Haar, in einem Nackenknoten zurückgenommen, betonte ihre zarten Züge. Obwohl sie ein eng anliegendes blaues Kleid mit Perlenbesatz trug, bewegte sie sich frei und ungezwungen. Die braune Zigarre, die sie sich ansteckte, schien zu zart für ihre ausholenden Gesten.
Sie ist ein Mann! Ein kleiner Mann! schoß es dem Mädchen durch den Kopf.
Gilda lachte lauthals angesichts dieser Gedanken und sagte
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