anderbookz Short Story Compilation II
tagtäglich aus den Menschen ihrer Stadt hervorbrachen. Sie hatte in ihrem Leben genug Kriege und genug Haß gesehen. Und auch wenn sie stets für die Abschaffung der Sklaverei votiert hatte, so fehlte ihr nun der Mut, einen weiteren Krieg samt seinen schrecklichen Begleiterscheinungen durchzustehen.
Und wie immer, wenn Gilda über diese Dinge nachdachte, kamen ihre Gedanken auf Bird: Bird, die aus freien Stücken ihr Leben teilte, wobei ihr damals die Entscheidung so leicht zu fallen schien. Das Wort Vampir fiel zu keiner Stunde. Gilda hatte Bird nur gefragt, ob sie im Leben und in Geschäften ihre Partnerin sein wollte. In den langen Jahren, die sie bei Woodard’s lebte, war Bird stets in alles eingeweiht, und sie hatte Gilda kritisiert, wenn diese ihr Informationen vorenthalten wollte. Bird konnte aus Gildas Stimme alles herauslesen - die Jahre der Einsamkeit und die Angst vor Entdeckung. Gilda war innerlich wie verdorrt und von einem brennenden Durst getrieben, den nur Bird stillen konnte.
Aber in diesen Tagen sehnte sich Gilda einzig und allein nach Sonnenstrahlen und nach dem Meer. Sie gierte nach Ruhe, nach der endgültigen Befreiung von den unmäßigen Forderungen der Zeit. Oft genug hatte sie versucht, Bird diese schreckliche Bürde zu beschreiben und ihr verständlich zu machen, warum sie sich auf immer und ewig dieser Last entledigen wollte. Aber Bird sah in Gildas Sehnsucht nur eine Flucht vor ihr, vor Bird - und nicht die Suche nach dem Ort der endgültigen Freiheit.
Ihre Gedanken überschlugen sich, als sie einem Schatten gleich durch die Nacht huschte. Wenige Meilen vor der Westgrenze Louisianas verlangsamte sie kurz ihre Schritte, drehte um und rannte zurück in Richtung New Orleans. Als sie in der Nähe ihrer Farm auf eine Ranch stieß, die sie kannte, wurde sie wieder langsamer.
Keines der Fenster in dem aus Holz und Stein errichteten Ranchgebäude war erleuchtet. Gilda lief zum Gesindehaus an der Rückfront, in dem die Arbeiter schliefen. Lauschend blieb sie nahe der Hauswand stehen, ging schließlich hinein und sah im Dunkel zwei Männer schlafen. Sie hockte sich neben den kräftigeren der beiden und begann in seine Träume einzudringen, hielt aber inne, als sie in seinem Blut plötzlich etwas Verderbtes spürte. Die Krankheit zeigte sich nicht im Gesicht des Schlafenden, doch tobte sie in seinem Körper. Unmißverständlich. Traurig näherte Gilda sich dem zweiten, schmächtigeren, Mann, der am anderen Ende des Raums schlief.
Er war in voller Bekleidung auf der Decke eingeschlafen und roch nach Pferden und Whiskey. Sie drang in seine Gedanken, als er gerade sehnsüchtig von einem haselnußbraunen Wallach träumte. Unruhe mischte sich in seine Begeisterung, er hatte Angst, dem Pferd nicht gewachsen zu sein. Gilda paßte auf, daß er nicht erwachte, als ihr Fingernagel eine rote Spur über seine Kehle zog. Sein Blut trinkend, versüßte sie ihm seinen Traum, machte ihn zum König der Reiter, und der Träumende lächelte triumphierend, während sein von Whiskey geschwängertes Blut in Gildas Adern tobte. Plötzlich wälzte sich der andere Rancharbeiter unruhig hin und her. Erschrocken hielt Gilda den Atem an und hörte auf zu saugen. Auch wenn sie den Tod nicht länger fürchtete, war sie instinktiv bereit, den unruhigen Schläfer zu besänftigen, falls er erwachen sollte. Mit einer flüchtigen Berührung verschloß sie sauber die Wunde des schmächtigen Schläfers. Bald schlug sein Puls wieder regelmäßig, und er wanderte weiter durch die Träume, die sie ihm hinterließ. Von Blut und Whiskey erhitzt floh Gilda aus dem Schlafhaus, sobald beide Männer wieder ruhig atmeten.
Es war auffallend dunkel, als sie in östlicher Richtung heimwärts strebte. Auch wenn die Wolken den Mond fast ständig verdeckten und die Straße im Dunkel lag, kam sie schnell voran. In ihrem Kopf pochte das Blut. So würde es sich wohl anfühlen, dachte sie, wenn sie im Meer die letzte Ruhe fände und das Leben aufgäbe. Im Bedürfnis, sich endlich mit dem Rhythmus der Wellen zu vereinen, klopfte ihr Herz aufgeregt. An jenem Ort würde sie wieder weinen können; und sie wäre endlich befreit vom Schlachtenlärm und den Bürden der Tage und Nächte, die sich, nicht enden wollend, aufhäuften. Der Staub, durch den sie nach Hause eilte, weckte eine Erinnerung - die einzige Erinnerung an ihre Kindheit: der staubige Treck. Sie wollten zum Wasser, vielleicht zum Meer, in dessen Nähe irgendwie die Zukunft zu sein schien,
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