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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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nur mit Worten. Das Mädchen lächelte bei der Erinnerung an ihren kindlichen Irrtum, Gilda sei ein Mann. Das Mädchen lebte unter Weißen, und vielleicht war das der Schlüssel. Aber ihr Wissen um Gilda kam aus weiter Ferne. Von einem geheimen Ort, den nur Bird kannte.
    Die Felder im Norden und Westen des Farmhauses lagen brach; sie wurden in Ordnung gehalten, aber nicht bestellt. Wie überall im Delta war die Erde hier warm und feucht, blauschwarz in ihrer Fruchtbarkeit - Bluterde sagte manch einer. Der Anschein von Leben, den das nicht eben hohe Haus über dem niedrigen Wurzelkeller ausstrahlte, stand in seltsamem Kontrast zu den kahlen Ackern. Während Bird die mitgebrachten Kleider verstaute, wartete Gilda am Fenster und schaute ins Abenddunkel. Sie versuchte, die Fäden zusammenzuhalten, in ihrem Leben eine Struktur auszumachen, die sich stärken ließe. Das Farmhaus bot Stille, aber keine Antworten. Es war eine Rückzugsmöglichkeit, hier konnte sie den Heucheleien der Stadt entgehen und war von jenen Gezeiten befreit, die ihr in immer gleichem Rhythmus ihre Energie raubten, den Atem nahmen und sie leichter als Luft zurückließen. Wie eine zuverlässige Hand auf ihrer Schulter empfand Gilda die Stille im Haus und seine Bereitschaft, sie zu schützen. Hier fand sie die Entspannung, die sie brauchte, um nachzudenken. Sobald sie die Schwelle überschritt, glitt Woodard’s von ihr ab. In letzter Zeit wanderten ihre Gedanken immer wieder zur offenen See und zu den sengenden Strahlen der Sonne.
    Die einzige Fessel war Bird. Bird, die Sanfte, die Strenge, die selten wankte und doch bei Gilda ausharrte, als würde sie draußen im Leben nur ertrinken. Bei Woodard’s hatte es wenige Frauen von Gildas Veranlagung gegeben, und keine war lange geblieben. Einmal reiste sie mit Bird in den Westen, zu Sorel, doch den Lärm und Staub dort ertrugen sie nur wenige Wochen. Bis zur Ankunft des Mädchens war Gilda der Richtigen noch nicht begegnet. Und Bird in dieser Welt ohne Gefährtin allein zurückzulassen, wäre so grausam, wie Gilda nie sein könnte. Das Mädchen mußte bleiben. Sie unterdrückte alle Zweifel, ob die Kleine zu jung war; oder ob sie später einmal dieses neue Leben hassen würde; oder ob sie Bird jemals verließe. Die Antwort auf diese Fragen fand Gilda in den Augen des Mädchens . Die Entscheidung war gefallen, und Gilda entspannte sich, als wäre der Schritt bereits vollzogen.
    Das Mädchen wußte nicht, warum man sie diesmal mitgenommen hatte. Im Frühsommer passierte das selten. Wollten Gilda und Bird sie loswerden? Sollte sie fortgehen? Die Vorstellung machte ihr mehr Angst als Mintas sanfte Warnungen. Doch setzte Bird den Unterricht fort, als sei nichts geschehen, und abends, wenn Gilda und Bird entspannt miteinander plauderten, holten die beiden Frauen das Mädchen dazu. Sie kauerte sich in eine Ecke auf den Fußboden und lauschte schweigend ihrer Unterhaltung. Sie sprachen über Lokalpolitik, über den drohenden Krieg, und die Mädchen bei Woodard’s erzählten einander abenteuerliche Geschichten. Anfangs glaubte das Mädchen , es seien erfundene Geschichten, aber nach einer Weile merkte sie am leidenschaftlichen Klang ihrer Stimmen, daß es um wirklich Erlebtes ging.
    Das Mädchen war jetzt ausgewachsen, eine große und schlanke Frau.
    »Hör gut zu, das solltest du dir merken«, sagten Gilda und Bird gelegentlich zu ihr. Dieser Aufforderung hätte es nicht bedurft, denn das Mädchen klammerte sich an jedes Wort. Der unterschiedliche Klang ihrer Stimmen und die geheimnisvollen Welten, die sie offenbarten, waren ihr ein Genuß.
    Das Mädchen bemerkte an Gilda eine extreme Anspannung, wie die Geschichten aus ihr herausdrängten, erzählt sein wollten. Bird war selig, daß Gilda so ausgiebig wie früher mit ihr zusammen war, und sie machte sich nicht wirklich Sorgen um Gildas seelische Verfassung, die ihr nicht entgangen war. Bird erzählte in sanften Farben ihre eigene Geschichte. Sie betrachtete das Mädchen , das, in ein Baumwollhemd gehüllt, mit untergeschlagenen Beinen vor ihnen saß, und sie spürte eine unausgesprochene Harmonie zwischen ihnen.
    Bird sagte verträumt: »In meinem Dorf war es oft so wie hier, vor der Feuerstelle.«
    »Und wer soll dabei die Rolle deiner zahnlosen Ältesten spielen, das Mädchen oder ich?« fragte Gilda mit einem strahlenden Lächeln.
    »Beide«, antwortete Bird. Das Mädchen lachte verhalten.
    Gilda saß auf dem mit dunklen Samt bezogenen Sofa. Sie stand auf,

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