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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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und ihr Gesicht verschwand aus dem Lichtschein des Feuers. Sie bückte sich, umfing das Mädchen mit beiden Armen, hob sie hoch und legte sie aufs Sofa; setzte sich zu ihr, bettete den Kopf des Mädchens in ihren Schoß. Die dicken Zöpfe des Mädchens streichelnd, nahm Gilda ihre Unterhaltung mit Bird wieder auf.
    Als erneut Schweigen eintrat, fragte Gilda das Mädchen : »Was erinnerst du von deiner Mutter und deinen Schwestern?«
    Das Mädchen dachte tagsüber kaum an ihre Familie, doch tat sie es regelmäßig am Abend, vor dem Einschlafen. Diese Gedanken waren ihr Nachtgebet. Sie hatte Gilda nichts von ihrer Mutter und den Schwestern erzählt, wohl aber Bird, wenn sie im Unterricht Geschichten austauschten. Mit den Namen kam die Erinnerung: an die kleine temperamentvolle Minerva, die immer etwas zu fragen hatte; an Florine, die zwei Jahre älter war als das Mädchen und niemandem in die Augen schauen konnte; und an Martha, die älteste, die breitschultrig war wie die Mutter, aber noch ruhiger. Erinnerungen: der Strohsack, den sie mit der Mutter teilte; das frühe Aufstehen und die Pflichten - den Haferbrei umrühren, die Milchwecken anrichten; der Duft des buttrig glänzenden Brotes; schneeige Rohbaumwolle, rotgefleckt von dem Blut an ihren Fingerspitzen.
    Die ferne Heimat, von der Mutter sprach, war dem Mädchen stets unwirklich erschienen. Ein ferner, diffuser Traum, der nur Kontur gewann, wenn die Rede aufs Tanzen kam. Schloß sie dann die Augen, vermeinte das Mädchen fast das rhythmische Scharren der Füße, der Glöckchen und Kalebassen zu hören. Es hämmerte in ihrem Körper, und die Hitze des offenen Feuers ließ ihr den Traum real erscheinen. Jetzt, da sie davon berichtete, schaukelte ihr Körper leicht hin und her, als wäre sie in den Kreis der Tänzer aufgenommen. Es erfüllte sie mit Stolz, daß sie fähig war, eine Geschichte zu erzählen, und Namen und Bilder flossen ihr über die Lippen. Bird lächelte sie ermutigend an - ihre Schülerin erhob Anspruch auf die eigene Vergangenheit.
    Im Farmhaus verging ein Tag wie der andere. Das Mädchen stand später auf als in der Stadt, denn es gab weniger zu tun. Sie las, wischte Staub; oder sie ging in den Feldern spazieren und beobachtete Kaninchen und Vögel. Spätnachmittags regten sich Bird und Gilda. Sie kamen auf die schattige Veranda und sprachen mit ihr, gingen aber bald wieder hinein. Von drinnen waren ihre Stimmen oder das Kratzen einer Schreibfeder zu vernehmen.
    Das Mädchen bemerkte sehr wohl das Sonderbare dieser Existenz; im Farmhaus trat es deutlicher in Erscheinung als im betriebsamen Bordell. Im Rübenkeller, ihrem einstigen Versteck, entdeckte das Mädchen Futtersäcke voller Erde. Erde lag in dünner Schicht unter den Teppichen, und Erde beschwerte die Mantelsäume der beiden, das Mädchen hatte Gilda und Bird niemals essen sehen, auch wenn sie sich gelegentlich zur Abendbrotszeit mit ihr zusammensetzten, das Mädchen kochte für sich und aß auch meist allein, es sei denn, daß Bird einen Maispudding zubereitete oder ein Wildkaninchen briet, das sie selbst erlegt hatte. Dann saßen sie beisammen, das Mädchen aß und Bird nippte an einem Glas Tee. Bisweilen konnte sie beobachten, wie Gilda und Bird in Reithosen und Wollhemden gekleidet in die Nacht hinauszogen. Mal brachen sie zusammen auf, mal ging jede für sich. Und beide sprachen ohne Worte zu ihr.
    Auch jetzt machten ihr Mintas Warnungen und das Getuschel über den verbotenen Voodoo-Kult keine Angst. Sie kannte die schlimmste Form der Angst, und zu verteidigen wußte sie sich auch. Warum sollte sie diese Frauen fürchten, die eng aneinandergeschmiegt friedlich schlummerten und auch sie so liebevoll behandelten?
    Am Nachmittag des achten Tages, als das Mädchen von einem Spaziergang zurückkehrte und sich an der Pumpe hinter dem Haus mit einem Schluck Wasser erfrischte, hörte sie zu ihrer Überraschung Gildas angespannte Stimme durch das Küchenfenster dringen. Sie stritten sich. Dann war Schweigen, dann lachte Gilda.
    »Kapierst du es denn nicht, Bird: weil wir uns lieben, zanken wir uns. Schluß damit! An einem so wunderschönen Abend dulde ich keinen Streit!«
    Das Mädchen sah, wie Gilda um den Holztisch herumging und einen Stuhl heranzog, doch ließ sie sich nicht darauf nieder, sondern setzte sich auf Birds Schoß. Überrascht fing Bird an zu lachen, aber ihre Anspannung legte sich nicht ganz.
    »Ich hab das Thema so satt. Du redest über das Weggehen, als könntest du

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