anderbookz Short Story Compilation
Mittelsmann kassieren wollten, der sie hochgehen ließ. Dieses Mal können sie sich da nicht herauswinden. Die Leute sagen, wie leid ihnen das tut und all so was. Aber ich bin da nicht sehr traurig drüber. Sie waren alles in allem doch Kriminelle. Das, was die MacKinnons gemacht haben, macht es unsereinem nur noch wesentlich schwerer, auf ehrliche Weise an ein Gutachten zu kommen.«
»Vermutlich haben Sie recht.«
»Natürlich habe ich recht.«
Irgendwie verriet Barrys ganzes Verhalten doch seine elende Situation. Der Hoffnungsschimmer begann zu verblassen: » Sie haben Ihre Lizenz inzwischen, nicht wahr?«
Zunächst berichtete Barry nur widerwillig, was ihm so alles in den letzten sechs Monaten widerfahren war, aber dann wurde er fröhlicher und gelöster, sprach zu Cinderella wie in einem ekstatischen Tanz.
»Ach, das ist ja schrecklich«, bedauerte sie ihn am Ende seiner Erzählung. »Es ist richtig unfair.«
»Was kann man da machen?« fragte er rhetorisch.
Cinderella aber verstand die Bemerkung im wortwörtlichen Sinn. »Nun«, sagte sie, »wir haben uns zwar noch nie richtig unterhalten, aber ich meine doch, daß Sie wirklich eine Lizenz verdienen.«
»Nett, daß Sie das sagen«, meinte Barry verdrießlich.
»Ja - wenn Sie von mir ein Gutachten haben möchten ...?« Sie griff in ihre Gesäßtasche, zog die Lizenz heraus und löste davon ein Gutachten.
»Oh, nein, wirklich, Cinderella ...« Er nahm das kostbare Gutachten zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ich habe das nicht verdient. Warum sollten Sie so weit gehen, einem ein Gutachten zu geben, den Sie kaum kennen?«
»Das geht schon in Ordnung«, sagte sie. »Ich bin sicher, Sie hätten für mich dasselbe getan.«
»Gibt es irgend etwas, womit ich mich revanchieren kann ...?«
Sie runzelte die Stirn und schüttelte zunächst den Kopf. Dann aber sagte sie: »Nun ... vielleicht ...«
»Sagen Sie es mir.«
»Könnte ich einen von Ihren Schuhen haben?«
Er lachte vergnügt. »Nehmen Sie alle beide!«
»Danke, aber ich fürchte, dafür fehlt es mir an Platz.«
Er beugte sich herunter, zupfte die Schnürsenkel auf und zog den rechten Schuh aus. Er überreichte ihn Cinderella.
»Es ist ein wunderbarer Schuh«, sagte sie, während sie ihn gegen das Licht hielt. »Haben Sie vielen herzlichen Dank.«
Und so endet die Geschichte.
© 1978 by Thomas M. Disch
(erstmals erschienen in ›The Magazine of
Fantasy & Science Fiction‹, Oktober 1978)
Übersetzt von Marcel Bieger
Zeitstürmer
Mark hatte mich wegen dieser Geschichte in Byzanz auf eine manisch-depressive »Behandlung« gesetzt. Was man sich auch vorzustellen vermag an Demütigung, Entsetzen, Selbstverachtung - ich erlebte es. Das Schlimmste aber war die Aufzehrung jeglicher Energie. Während ich in die manische Phase aufstieg, floß sie aus mir heraus, rauschte in Sturzbächen aus meinem Körper. Ich rannte halbnackt durch Korridore, schrie meinen Kollegen Unflätigkeiten entgegen. Ich tanzte, kreischte, hing über Geländer und schnauzte die Vorübergehenden an. Niemand gebot mir Einhalt.
Nach vier oder fünf Tagen, als mein Körper ausgelaugt war, fiel die Kurve. Ich hatte einige Tage Ruhe, Zeit zu atmen, vermochte sogar klar zu denken. Dann folgte der Absturz in die Tiefen der Depression.
Über diese Phase will ich gar nicht reden. In den Tagen dazwischen aber, als ich nahezu Frieden mit mir hatte, beschloß ich, mein Tagebuch, aus dem ich diese Ereignisse berichte, weiter zu führen. Ich schrieb und schrieb, solange ich konnte, bis ich das Interesse verlor, als ich den Höhepunkt erklomm, oder mir sagte, daß die Schreiberei keinen Sinn habe, wenn ich in die grauen Nebel der Kapitulation glitt. Erstaunlicherweise schadete die »Behandlung« nicht meinem Status im Freundeskreis. Vom Status nämlich hängt für einen Stürmer alles ab. Doch von Mark zur Bestrafung ausgesondert worden und danach noch lebendig zu sein war eine Auszeichnung eigener Art, etwa so, als hafte der Fluch der Götter an mir. Vielleicht betrachteten sie mich gar mit Ehrfurcht. Ich habe es nicht in meinem Tagebuch erwähnt, aber ich erinnere mich - glaube ich jedenfalls -, daß ein oder zwei Leute aus meiner Mannschaft kamen, um mich zu waschen. Körperpflege oder der Besuch einer Toilette erschienen mir zuweilen allzu banal, während ich auf dem Höhepunkt war. Und einmal ertappte ich mich dabei, daß ich auf den Stufen des Gebäudes der D’drendt-Union, ohne offensichtliche Reaktionen eines Publikums
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