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anderbookz Short Story Compilation

anderbookz Short Story Compilation

Titel: anderbookz Short Story Compilation
Autoren: Thomas M. Disch , Doris Egan , Gardner Dozois , Jack Dann , Michael Swanwick , Tanith Lee , Howard Waldrop , Katherine V. Forrest
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bei dem Klang einer wehmütig aufspielenden Solovioline. »Und ich nehme gern Nahrung zu mir.«
    Erstaunt sah Harper sie an. In ihrem Beisein hatte Drake bis jetzt immer nur Tomatensaft getrunken. Bestimmt war in ihrem Quartier ein Autoserv installiert, aber trotzdem ... Drake war gertenschlank, an ihrem Körper befand sich kein überflüssiges Gramm Fett. Autoserv, dessen Vorräte automatisch wiederaufgefüllt wurden, kontrollierte zwar die Ausgewogenheit der Nährstoffe im Essen, nicht jedoch die Menge, die man zu sich nahm. Eine Gewichtszunahme, die über die individuell festgelegte Norm hinausging, wurde von Psychotests als Anzeichen einer Psychose bewertet.
    Drake lächelte - ein aufreizendes, vielsagendes Lächeln. Zu fasziniert, um verärgert zu sein, starrte Harper sie an.
    »Es gibt noch etwas, das mir Freude bereitet«, sagte Drake. »Ich lerne gern die Menschen näher kennen, die mich auf diesen Reisen begleiten. Ich freue mich schon auf Ihre Geschichte.«
    »Dafür brauche ich zwanzig Minuten«, stellte Harper ohne jede Koketterie fest. Ihr Leben hatte erst seit ihrem Eintritt ins Militär Farbe und Schwung bekommen.
    Drake lächelte wieder. »Wir haben einhundertachtzehn Tage, bevor wir zurück in die Erdumlaufbahn kommen. Sie haben ganze siebenundzwanzig Lebensjahre, von denen Sie mir in der Zwischenzeit erzählen können.«
    »Die siebenundzwanzig Jahre sind aber schlichtweg uninteressant«, beharrte Harper mürrisch.
    »Vielleicht für Sie, aber bestimmt nicht für mich«, sagte Drake mit leiser, ausdrucksvoller Stimme. Wieder heftete sie ihren durchdringenden Blick auf Harper.
    Was immer Drake sonst noch sein mochte, sie mußte sehr einsam sein, dachte Harper und blickte sie an. Ihre Schönheit schien ihr noch märchenhafter als zuvor.

    In der letzten Stunde hatten sie schweigend einem Streichquartett gelauscht und das abwechslungsreiche Schauspiel hinter den Aussichtsfenstern beobachtet.
    Drake brach das Schweigen. »Wo sind Sie geboren?«
    Harper hatte die Ruhe genossen und fand die Frage - ganz besonders diese - ausgesprochen störend. »In British Columbia«, erwiderte sie kurz angebunden und hoffte, die knappe Antwort würde Drake zum Themenwechsel veranlassen.
    Drake sah sie kurz an. »Und wo in British Columbia?«
    Harper stöhnte. »New Alabama.«
    Drake zog die schmalen, leicht gebogenen Augenbrauen hoch. »Das ist eine traditionalistische Kolonie, nicht wahr?«
    »Ja. Und Schauplatz des Großteils meiner höchst langweiligen Lebensgeschichte.«
    »Wohnt Ihre Familie noch dort?«
    Harper stöhnte wieder und nickte. »Sie sind glücklich dort. Ich bin froh, nicht dort zu sein. Sie schämen sich meiner. Ich schäme mich ihrer.«
    Drake erhob sich aus dem Sessel und setzte sich neben Harper. »Erzählen Sie mir darüber. Erzählen Sie mir von Ihren Eltern. Beschreiben Sie sie.«
    Harper nickte wieder, diesmal nicht mehr so zögerlich. Der Blick, der auf ihr ruhte, war aufmerksam und interessiert. Sie konnte Drakes ersten Versuch einer Unterhaltung nicht einfach abschneiden. »Meine Mutter ist eine kleine Frau, mein Vater ...«
    »Nein. Beschreiben Sie sie detaillierter, so daß ich sie sehen kann. Daß ich auch sehen kann, wie Sie dort mit ihnen gelebt haben.«
    Unter dem Blick der dunklen Augen fuhr Harper gehorsam fort: »Meine Mutter ist jetzt dreiundfünfzig. Ich habe ihre blauen Augen, aber meine sind etwas heller ...«
    Durch Drakes Interesse an selbst den kleinsten Einzelheiten aus Harpers Kindheit kehrten unzählige Erinnerungen wieder, und ihre gezielten Fragen öffneten Türen zu einem Bereich ihrer Vergangenheit, den Harper verdrängt oder einfach vergessen hatte. In den letzten zehn Jahren war es Harper gelungen, Diskussionen und sogar Gedanken an jene schmerzliche Zeit zu vermeiden, in der sie sich ihren Eltern widersetzt und die traditionalistische Doktrin der militanten Kolonie, die vor über zwei Jahrhunderten entstanden war und bis zum heutigen Tag neue Siedler anzog, verspottet hatte. Es war, als ob durch das ausführliche Erzählen in ihrem Inneren eine schwärende Wunde zu heilen begann, und die Worte kamen ihr immer bereitwilliger über die Lippen.
    »Als in Montreal das Freihandels-Raumfahrtzentrum errichtet wurde, verließen meine Urgroßeltern die Stadt. Sie packten alles zusammen und gingen mit Tausenden anderen Quebecer Familien ...«
    Drake nickte ernst. »Und Ihre Eltern erbten all den Fremdenhaß.«
    »Ja. Sie hielten den uralten verqueren Schlamassel in der Bibel
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