Andere tun es doch auch (German Edition)
Karree-Spitze, dann kommt nichts anderes an mich heran. Normalerweise. Heute drängt sich aber dauernd eine Frau mit wunderbaren langen braunen Haaren zwischen die Schuhpaare, die an meinem inneren Auge vorbeiziehen. Und jedes Mal, wenn sie diese wunderbaren langen braunen Haare nach hinten wirft, werden die Schuhe einfach vom Luftzug weggepustet, und ich muss sie wieder neu ordnen.
Warum? Warum ist sie einfach abgehauen? Was ging ihr durch den Kopf? Was habe ich falsch gemacht? Warum redet sie nicht mit mir? Immer wieder die gleichen Fragen. Und je länger ich in der Wanne liege, umso mehr bedrängen sie mich. Mit anderen Worten, ich bin reif für den nächsten Drink. Nachdem ich kurz überlegt habe, dass es keine gute Idee ist, Angelina zu bitten, mir ein Getränk an die Wanne zu bringen, steige ich seufzend aus und trockne mich ab. Dann schlurfe ich im Bademantel an der stirnrunzelnden Angelina vorbei in mein Schlafzimmer. Dort hole ich ohne lang zu überlegen eine weiße Hose, ein gelbes Hemd, ein grau-weiß kariertes Jackett und rote Socken aus dem Schrank und schlüpfe hinein. Damit ziehe ich erneut an der nun noch mehr stirnrunzelnden Angelina vorbei zu meinem Schuhregal und ziehe mit einem gezielten Handgriff meine schwarz-weißen Spectators heraus, die ich mir eigentlich nur für den 30er-Jahre-Tanzkurs gekauft hatte, den Connie damals mit mir machen wollte. Dazu setze ich mir noch den Trilby-Strohhut auf, den mir meine Bürocrew zum letzten Geburtstag geschenkt hat. Auch wenn Angelina, die selber ganz unauffällig mit weißer Bluse, Weste und dunkler Hose unterwegs ist, inzwischen vom Stirnrunzeln zum Räuspern übergegangen ist, bin ich sehr zufrieden mit mir. Dieses Outfit ist noch entschieden besser, als nackt die Tür aufzumachen. Da fällt mir ein …
»Momentchen, bin gleich zurück. Wenns genehm ist, leg doch schon mal Musik auf, Angelina. Und falls dir danach ist, ein erster Drink käme mir sehr gelegen.«
Ihr »Red endlich wieder normal, sonst kriegst du nur Limo« höre ich nur noch gedämpft, denn ich stecke bereits tief in meiner Abstellkammer und wühle. Hier müssen doch noch irgendwo künstliche Blumen sein. Ich weiß es ganz genau. Irgendwelche von den unzähligen Geschenk-mitbring-Gästen, die man im Lauf der Zeit so hat, hatten die mal hiergelassen, und ich habe es nicht übers Herz gebracht, sie wegzuwerfen. Ich brauche geschlagene fünf Minuten, um die Schachtel zu finden, aber es hat sich gelohnt. Ich überlege kurz, nehme mir dann eine fliederfarbene Aster heraus und stecke sie in mein Knopfloch. Erst jetzt bin ich wirklich komplett.
Und nun raus auf die Piste. Wenn mich nicht alles täuscht, hat es vorhin geklingelt. Und tatsächlich sehe ich, als ich zurückkomme, den ersten Gast in der Küche stehen und mit meiner Barkeeperin über das Flaschengebirge im Hintergrund quatschen.
»Ah, sieh an, der Mohamadou. Oh!«
»Alles klar, Kai, Mann? Oh!«
Nicht nur, dass Moha exakt die gleiche fliederfarbene Aster im Knopfloch stecken hat wie ich, wir merken es auch exakt im gleichen Augenblick. Natürlich könnte man an diesen Zufall ein wunderbares Gespräch anknüpfen, aber wir ziehen es beide vor, uns einfach schallend kaputtzulachen. Die Schachteln mit den künstlichen Blumen müssen wohl irgendwann mal auf einem Sonderangebotstapel in einer hiesigen Supermarktkette gelegen haben.
»Wenn die Herren sich ausgekichert haben, könnte ich mir überlegen, einen ersten Drink zu mixen.«
»Oh ja, bitte!«
»Wie wäre es mit einem Negroni?«
Ich halte kurz den Atem an, aber dann fällt mir wieder ein, dass das ein klassischer Cocktailname und keine rassistische Anspielung ist. Außerdem nimmt Moha, was rassistische Anspielungen betrifft, das Heft sofort selbst in die Hand.
»Sehr gut, Angelina, ich fühle mich ’eute durch und durch negroni, hahaha!«
»Also, drei Negroni. Bitte mal kurz leise sein, ich muss mich konzentrieren, den habe ich erst ein Mal gemacht.«
»’eute sind wir alle negroni!«
»Ruhe!«
L ARA Ist ja wirklich ganz nett, so Spreeufer, Sand, Sommernacht, Musik, Wasser, Drinks und schöne Menschen, aber das Blöde ist, dass Adrian dauernd Leute trifft. Und je weniger er sich mit mir unterhält, umso mehr … Nein, ich spreche es gar nicht erst aus. Ich habe Kerstin mein Wort gegeben, nicht nachzugrübeln. Und ich bin auch überhaupt nicht wütend. Und da kommt Adrian auch schon mit zwei frischen Bieren. Alles in Butter. Warum denke ich an den Gummistiefel?
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