Andere tun es doch auch (German Edition)
Pony und wasserstoffblond. Ob ich mal Kerstin … Hey, genau, wo steckt die Dame eigentlich? Sie hat sich immer noch nicht gemeldet. Heißt das …?
Zirrrp! Zirrrp!
Boa, Gedankenübertragung! … Ach nein, doch nicht.
»Hallo, Herr Rockerer.«
Seien Sie mir nicht böse, dass mein Ohr sich jetzt erst mal auf Durchzug schaltet, aber abgesehen von Kai und Adrian sind Sie so ziemlich der Letzte, mit dem ich gerade reden will. Ich mache hier gerade einen Neustart, und wenn ich es mir so recht überlege, ist der blöde Job bei Ihnen das Nächste, was ich loswerden muss. Und überhaupt, was soll das? Die Schichten sind doch längst geklärt für diese Woche. Und Sie haben mir versprochen, dass ich nach meinem Großeinsatz von neulich bis zum Wochenende weder Frühstück machen noch putzen muss. Und wenn Sie mir nur guten Tag sagen wollen, finde ich das zwar nett, aber, wie gesagt … und außerdem ist mein Telefon gestört. Ich höre nur völligen Quatsch.
»Entschuldigung, Herr Rockerer, aber ich verstehe die ganze Zeit Mittwochabend, Party, Catering, Buffetkraft .«
Das wäre auch völlig richtig. Aha. Und warum erzählt er mir das?
»Also, nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie daran gedacht haben, dass ich am Mittwoch Buffetkraft mache: Nein, ich kann auf keinen Fall. Ich habe da nämlich eine wichtige private Verabredung.«
Mit Kerstin. Und meine neue Frisur hat eine Verabredung mit Tim Bendzko.
»Was? Nein, völlig ausgeschlossen.«
Spinnt der jetzt?
»Nein, ich kann meine Verabredung nicht zur Party mitbringen. Auch wenn Sie meinen, dass ich in meinem Buffetdamen-Kostüm fesch aussehen werde … Oh, sagen Sie, nur interessehalber, handelt es sich etwa um eine Mottoparty, zu der Leute engagiert wurden, die sich als Kletterer verkleiden?«
Tatsächlich. Die Veranstalterin scheint ja halb Berlin dafür zu engagieren. Aber von mir aus. Ich gehöre jedenfalls ganz klar zur anderen Hälfte. Der, die zu Tim Bendzko geht. Kapiert der das jetzt endlich mal?
K AI Dieser Zivi Sven ist ja wirklich ein ausgekochter Bursche. Hat gleich erkannt, dass die Hammondorgel-Version von Smells like Teen Spirit, die Großonkel Karl und seine Heimkollegen zum Besten gegeben haben, mal vor ein etwas größeres Publikum gehört. Nachdem die politische Session im Heizungskeller beendet war, hat er sich kurzerhand zum Manager befördert und die Band »Die drei Seniöre« genannt. Und auch schon den ersten Auftritt klargemacht. Und genau da liegt das Problem.
»Weißt du, Karl, man kann doch auch zwischendrin mal Musik machen, die keine politischen Zwecke verfolgt.«
»Kann man. Aber die Zeit, die man dafür aufwendet, hat man dann nicht mehr, um sie für politische Musikaktionen aufzuwenden. Und, wie du vielleicht weißt, es sind immer noch genauso viele deutsche Soldaten in Afghanistan wie letzten Monat. Wir müssen dranbleiben. Außerdem, sehen wir den Tatsachen ins Auge, jemand wie ich hat nur noch begrenzt Zeit, etwas zu bewirken.«
Hugh, Karl hat gesprochen. Er sitzt in dem großen roten Ohrensessel, den ich mit großer Mühe gerade noch in sein 12-Quadratmeter-Zimmerchen reingequetscht bekommen habe. Seine Hände sind vor dem Bauch verschränkt, und sein mächtiger Kopf liegt ganz leicht schief. Wenn er doch nur nicht so stur wäre.
»Ach Quatsch, Onkel Karl. Jemand, der stundenlang in der Mittagshitze mit einem Sousaphon vor dem Verteidigungsministerium herumlaufen kann, ist kerngesund. Und schau, der Sven hat da wirklich was Tolles auf die Beine gestellt. Du würdest endlich mal vor echtem Publikum spielen. Und deine Kollegen Herr Andrischek und Herr Hurzenberger würden es auch sehr gerne machen, hat Sven gesagt. Tu es doch wenigstens ihnen zuliebe.«
»Ich bin nicht mehr in dem Alter, in dem man Kompromisse eingeht. Noch Tee?«
»Gerne, danke. Also gut, dein Ziel ist es, möglichst viele Leute zu erreichen. Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass dein Bekanntheitsgrad steigt, wenn du mit deiner Band öffentlich auftrittst? Sieh es doch als Investition. Wenn du dann später wieder eine politische Musikaktion machst, bekommen es viel mehr Leute mit, weil du ja der Karl von den drei Seniören bist, verstehst du?«
Er wiegt seinen Kopf hin und her. Schon allein von dieser Bewegung fangen die Federn in seinem Ohrensessel leise an zu quietschen. Ich frage mich, wie lange das gute Stück noch hält.
»Und überhaupt, wenn du mit deinen Auftritten etwas Geld verdienst, ist das doch auch nicht
Weitere Kostenlose Bücher