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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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wieder über ihren Mann, der mit offenem Mund atmete und dessen Lider flatterten, und sagte leise: „Was bist du bloß für ein Sohn.“
    Langsam wurde es Zeit, zu Kremers zu gehen. Christian steckte kurz den Kopf durch die Wohnzimmertür und sagte, wohin er ginge. Ingeborg, die mit untergeschobenen Beinen auf der Couch saß und las, nickte nur und Renate, inzwischen nach Hause gekommen, reagierte überhaupt nicht. Als er schon aus der Tür war, rief sie ihm nach, er solle Tante Hildegard und Onkel Herbert von ihr grüßen.
    Er wählte den Weg am Rondell und die kalte und feuchte nebelverhangene Luft setzte sich in kleinen Tropfen in seinen Haaren fest. Er konnte nichts dagegen tun, dass er seine Mutter schon wieder enttäuscht hatte, diesmal fühlte er sich im Recht. Sie wusste genau, wie eklig ihm sein Vater war, wenn er getrunken hatte. Aber nein, sie musste sich ja hinter ihren Mann stellen. Er fühlte sich verraten, nie verteidigte sie ihn. Früher hatte sie ihrem Mann sogar jeden Abend berichtet, was er angestellt hatte, und Fritz Lorenz hatte ihm dann eine runtergehauen oder mit dem Ledergürtel versohlt, je nach der Schwere der Verfehlung. Es war vorgekommen, dass sie beide grundlos lachen mussten und Christian schon gehofft hatte, er würde dieses eine Mal davonkommen. Fritz Lorenz hatte ihn dennoch verprügelt. Wenn man ihn gefragt hätte, warum er so kalten Herzens seinen Sohn züchtigte, hätte er mit Unverständnis reagiert. „Schläge haben noch keinem geschadet“, hätte er vielleicht geantwortet, vielleicht hätte er auch überhaupt keine Antwort parat gehabt, weil ihm die Frage so abstrus vorgekommen wäre. Wie sollte denn Erziehung zur Disziplin und zum Gehorsam wirksam werden, wenn man nicht mit körperlicher Korrektion die Faxen austriebe?
    Christians Wunden saßen tiefer. Es waren nicht nur die Schmerzen, die ihm zugesetzt hatten. Mit den Schlägen hatte der Vater ihm alles Selbstbewusstsein herausgetrieben und eine tiefe Angst vor körperlichen Auseinandersetzungen eingepflanzt. Das Gefühl, jemandem ausgesetzt zu sein, ohnmächtig hinzunehmen, was ihm zugedacht war, produzierte eine Hilflosigkeit, der er sich nicht erwehren konnte und die ihn gleichzeitig in seinem Selbstbild zutiefst verletzte und ihn abstieß.
    „Wenn ich doch nicht so feige wäre“, dachte er oft und er kreidete sich diese Feigheit selbst an.
    Stefan Kremer empfing ihn kühl.
    „Komm rein“, sagte er.
    „Ist dein Vater auch besoffen? Dann geh ich gleich wieder“, sagte Christian.
    „Wie kommst du darauf? … Ach je, deiner, nehme ich an. Na denn, Prost. Meiner sitzt im Wohnzimmer.“
    Stefan kannte die Probleme seines Freundes mit seinem Vater. Herbert Kremer, der auch ab und zu gern einen trank, durchlebte nicht diese Wesensveränderung, die Christian so zu schaffen machte. Stefan fand seinen Vater im Suff aufgeräumt und humorvoll und auch Hildegard, die nie zu viel trank, hatte nichts dagegen einzuwenden, wenn ihr Mann ab und zu, was wirklich selten vorkam, einen über den Durst hob. Sie gönnte ihm den Rausch, Entspannung und Linderung seiner Leiden.
    Stefans Wut auf Christian verflüchtigte sich, als er seinen Freund betrachtete. Blass, mit Ringen unter den Augen, sah er erbärmlich aus. Und als er ihm das sagte, brachen bei Christian die Deiche und er schüttete sein Herz aus über seine Mutter, das Tagebuch, Helga und seine Angst, sie zu verlieren, sein idiotisches Verhalten in und nach der Deutschstunde, und zum Schluss, dass er sich ihm gegenüber, seinem besten Freund, beschissen verhalten habe. Die HIAG-Absage sparte er vorerst aus und von Dülmen versuchte er nach wie vor rauszuhalten. Das konnte kein Thema zwischen ihnen sein.
    „Bei Wenzel habe ich gedacht: Was ist denn mit dem los. Aber ich habe deine Frage gar nicht richtig verstanden, das ganze Zeug interessiert mich eh nicht.“
    Tatsächlich hatte Stefan die Deutschstunde damit zugebracht, an Frau Sänger zu denken und seine Erektion unter Kontrolle zu halten.
    Er staunte nicht schlecht, was seinen Freund alles so umtrieb. Vieles begriff er nicht, zum Beispiel die Sache mit dem Tagebuch. Er konnte sich keinen Reim auf die Bedeutung für Christian machen.
    „Andererseits“, sagte er, „es jetzt wieder zwischen die Wäsche zu stecken, ist idiotisch. Du musst bei deiner Geschichte bleiben. Schmeiß es lieber weg.“
    Am liebsten hätte er hinzugefügt „Oder gib es mir“, aber er wollte sich als guter Freund erweisen, der ernsthaft zuhörte,

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