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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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Stimmengewirr war beträchtlich und alle Einzelgespräche vereinten sich zu einem Klangteppich, einem kontinuierlichen, niemals abschwächenden Rauschen, und er dachte, dass die Herstellung dieser monotonen Geräuschkulisse das eigentliche Ziel der Unterhaltungen wäre, dass jeder seinen Beitrag zu dieser Kreation einer Atmosphäre leistete, die unabdingbar war für das Wohlgefühl, das sich einstellte, wenn man den Raum betrat.
    Verstohlen zückte er einen Kamm aus der hinteren Tasche seiner Jeans und fuhr sich schnell durch die Haare, wobei er darauf achtete, dass sie an den Seiten, nach hinten gekämmt, eng anlagen. Er drückte sich eine Welle in das Stirnhaar und hatte so mit zwei, drei kurzen, ökonomischen Bewegungen die Frisur gerichtet, die er bei den Rock ’n’ Roll-Sängern zuerst bewundert und dann kopiert hatte.
    Er war eigentlich schon zu alt für diesen Stil; in seinem Gesicht zeichneten Falten Konturen in Stirn und um die Nase. Die Lungenkrankheit und die schlechte Ernährung ließen ihn ausgemergelter erscheinen, als er war. Er war sich über die Wirkung seiner Person sehr wohl bewusst und er tat zwar so, als wenn er die Blicke, meist verstohlen, selten direkt, nicht bemerkte, die ihn erfassten, wenn er einen Raum betrat, genoss sie dennoch wie ein Star, dem die ewige Hinterherglotzerei und das öffentliche Erkennen auf die Nerven zu gehen schienen als Diebstahl an der Privatsphäre, was sich im vollständigen Ignorieren der Situation ausdrückte, der aber gleichermaßen eine fehlende Reaktion auf ihn als Beschädigung seines Egos empfand. Das zur Schau gestellte Desinteresse wurde verknüpft mit der verstohlenen, aus den Augenwinkeln heraus wahrgenommenen Versicherung, nicht unbemerkt geblieben zu sein. So entging von Dülmen auch nicht die um Nuancen schwankende Klangkulisse, als er durch das Café schritt, und die Blicke der beiden Schüler, die er im Gedränge angerempelt hatte, waren nicht nur finster, sondern begleitet von einem Stutzen, als sie ihn gewahr wurden.
    Er bestellte einen mittleren Eisbecher ohne Sahne, nur Milcheis, drei Kugeln, und während er bedächtig den flachen, schaufelförmigen Eislöffel zum Mund führte und das Eis auf der Zunge schmelzen ließ, schaute er teilnahmslos in die Runde und warf hin und wieder einen Blick Richtung Eingangstür. Würde es Christian wagen? Er hatte keine Ahnung und es war auch nicht Christian, weswegen er hier saß. Er wartete auf Wullenwever. Dabei war er nicht sicher, ob der Alte überhaupt kommen würde, so unzuverlässig, wie er war. Unzuverlässig war vielleicht das falsche Wort, eher unverbindlich; er ließ sich nicht gern festlegen, überließ sich seinen Launen. „Kein Zwang“ war sein Motto, auch kein innerer. Wenn er kam, war er hochkonzentriert und aufmerksam und voller Interesse für sein Gegenüber. Schwand es, verabschiedete er sich schnell.
    Über sich redete Wullenwever ungern, fast widerwillig. Er betrieb einen kleinen Antiquitätenladen in der Fischergrube mit Vorkriegsramsch, Haushaltsauflösungen, wenig Wertvollem, Gebrauchsgegenständen, Nippes, Küchengeräten und ein paar Möbeln im Stil des Gelsenkirchener Barock. Trotz unregelmäßiger Öffnungszeiten konnte er sich so einigermaßen über Wasser halten. Manchmal gelang es ihm, ein Bild von Richard von Dülmen zu verkaufen, den er in einem hinteren Raum ausstellte, Landschaftsbilder, Porträts, Stillleben. Die anderen Werke waren Auftragsarbeiten und gingen unter dem Ladentisch weg, nicht selten unter einer zweiten Leinwand versteckt, die abstrakte Motive zeigte. Die brachten mehr ein und sicherten ihm und von Dülmen immerhin ein bescheidenes Auskommen.
    Richard von Dülmen griff zu den Lübecker Nachrichten, die hinter ihm an der Wand hing. Der hölzerne Griff der Klemmvorrichtung, mit der die Zeitung zusammengehalten wurde, war geriffelt und fühlte sich warm an. Mit einem Schwung schlug er die ersten Seiten um, Politik interessierte ihn nicht, und blieb an einem Artikel über Sophia Loren hängen. Der Artikel titelte „Sophia Lorens dramatische Hochzeit“ und schilderte im aufgeregten Stil einer hautnahen Reportage die Hochzeit mit Carlo Ponti, der erst drei Monate vorher geschieden worden war, die als Fernhochzeit ohne die Anwesenheit des Paares in Juarez in Mexiko geschlossen wurde. Ein Foto zeigt die Loren mit Ponti, den sie um Kopfeslänge überragte. Die Hochzeit war ein Skandal. Die Loren in Hollywood, Ponti in Rom, sie sollte geheim bleiben, aber

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