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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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Buchrücken und an den Kanten das braune, ungefärbte Leder brüchig und rissig durchschimmerte. Oben stand in goldenen, geschnörkelten Buchstaben: Tagebuch.
    Christian hielt es unschlüssig in den Händen. Seine Mutter hatte Tagebuch geschrieben? Er schnupperte an dem Leder, das neutral und ein bisschen muffig roch, ohne jede Spur einer Seife oder eines Parfums. Er begutachtete es von allen Seiten, drehte und wendete es, es war offensichtlich alt und viel benutzt worden und schon ein wenig verschlissen. Der massive Umschlag ließ sich nicht biegen. Er konnte das Tagebuch nicht öffnen; das Schloss machte einen soliden Eindruck.
    Neugierig geworden, durchwühlte er den Nachttisch seiner Mutter nach dem Schlüssel, konnte ihn nicht finden, hatte es auch nicht erwartet, obwohl sie eine beträchtliche Anzahl alter Schlüssel besaß, die in einem roten Schächtelchen zusammen mit alten Geldmünzen und kaputtem Modeschmuck in der unteren Schublade des Nachttischs untergebracht waren. Die Schlüssel waren zu groß. Auch unter der Wäsche befand er sich nicht. Stattdessen entnahm er der Schublade eine Haarnadel, bog sie auf und stocherte in dem Schloss herum. Es tat sich nichts. Er ermahnte sich zur Ruhe und führte nun die Nadel in Drehbewegungen in der Öffnung hin und her und plötzlich schnappte das Schloss auf und die Schlaufe lag frei.
    Auf der Innenseite stand in lateinischer Schrift mit blauer Tinte geschrieben: Hermine von Stetten, begonnen am 18. Februar 1925. Die Buchstaben waren leicht nach links gekippt, die lateinische Schrift sehr gleichmäßig und fließend, der Einfluss des Sütterlins erstreckte sich auf einige Buchstaben wie das „k“ und das „w“ und bestimmte den Rhythmus der Absetzungen der einzelnen Silben.
    Es war das Tagebuch seiner Großtante, der Schwester seiner Oma mütterlicherseits. Tante Hermine, deren Name nur der Vollständigkeit halber bei der Aufzählung der Familienmitglieder genannt wurde, die nach dem Krieg verschollen war, nicht ganz koscher, wie sein Vater einmal bemerkte, über die er kaum etwas wusste, die so beiläufig aus dem Familiengedächtnis getilgt war, dass Christian davon gar nichts mitbekommen hatte. Großtante Hermine hatte zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, ungefähr in dem Alter seiner Eltern, er hieß Karl und seine Tante Mathilde.
    Christian erinnerte sich plötzlich an einen Streit seiner Eltern über Hermine vor gar nicht allzu langer Zeit, vielleicht war es ein Jahr her, den sie lautstark im elterlichen Schlafzimmer ausgetragen hatten. Bei den Wortfetzen, die er verstanden hatte, ging es um etwas mit der Ostzone, mit Russen und mit Franz, der die Seiten gewechselt hätte. Sein Vater brüllte, dass das gar nicht infrage käme, und seine Mutter beharrte darauf, dass sie zur Familie gehöre, und er hätte ja gar keine Ahnung, sie wolle ihn ja nicht erinnern, woran, das war unverständlich geblieben, weil der Vater sie schroff überschrien hatte. Jedenfalls wohnten sie jetzt wohl in der SBZ.
    Seine früheren Fragen nach der Tante seiner Mutter, die zugegebenermaßen nicht sehr drängend waren, wurden beiseite geschoben mit Ausflüchten, man wisse nichts, es gäbe keine Kontakte, vielleicht sei sie ja auch schon tot. Christian hatte sich nie viel für die Familien seiner Eltern interessiert, die Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen, die er bei den seltenen Familientreffen kennengelernt hatte, wohnten so weit weg im Süddeutschen oder sogar in der Schweiz, dass ihre Leben keine Berührungen oder Überschneidungen vorsahen. Von denen, die in Ostpreußen geblieben waren, fehlte jede Spur. Der Briefverkehr zwischen seinen Eltern und den Verwandten konnte man getrost als rudimentär bezeichnen, selbst die Weihnachtskarten waren nicht die Regel. Aber wie war das Tagebuch in die Hände seiner Mutter geraten?
    Er begann, die erste Seite zu lesen, und er war sofort mitten drin im Leben seiner Großtante Hermine.
    Angerburg, Mittwoch, d. 18.II. 25.
    Morgen kommt die neue Gabi. Ich bin so gespannt, wie sie aussieht. Ich weiß nicht, mir ist so bange vor den nächsten Tagen. Neulich habe ich einen Traum gehabt. Mir träumte, dass die neue Gabi gekommen wäre und dass sie sehr hübsch gewesen wäre. Franz hätte die ganze Zeit mit ihr poussiert. Darum ist mir jetzt so bange. Man soll ja nicht an Träume glauben. Aber manchmal sprechen sie doch wahr. Heute Nacht habe ich auch geträumt, dass ich einen Zahn verloren habe, dass soll auch nichts gutes bedeuten. Ich freue

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