Anderer Welten Kind (German Edition)
lustig machte, sondern auch ganz offen zeigte, dass er sich nicht für ihn interessierte. Es war alles noch zu frisch und aufregend und Christian war wild entschlossen, das kleine Stück Seil, das er in der Hand hielt, aufzurollen, und das führte direkt in das Eiscafé Venezia.
Zu Hause zog sich Christian schon früh auf sein Zimmer zurück. Er konnte es gar nicht abwarten, allein zu sein. Das Tagebuch wartete. Er konnte ganz beruhigt sein, seine Eltern und neuerdings auch Renate respektierten seine Privatsphäre und klopften an, wenn sie etwas von ihm wollten. Er warf sich auf sein Bett mit der schottengemusterten Tagesdecke, nachdem er das Tagebuch sorgfältig ausgepackt und die Zeitungen unter das Bett geschoben hatte. Sicherheitshalber legte er sich das Biologiebuch in Griffnähe und er schlug das Tagebuch seiner Großtante Hermine zum zweiten Mal auf.
Allenstein Montag d. 23.II 19
Heute morgen, als Franz zu uns kam, sah er so komisch aus. Mir ist heute so furchtbar traurig zu Mute. Ich habe so eine Ahnung als ob Franz mich betrogen hat. Ich habe schon den ganzen Morgen geweint. Als ich Franz fragte, was er gestern Abend gemacht hat, da wurde er ganz rot und lief fort. Er ist bis jetzt noch nicht wieder gekommen. Wenn ich das erfahre, dass er mich wirklich betrogen hat, dann ist auch in diesem Moment Schluss. Wie bitter weh mir das tun würde, weiss nur Gott allein. Hoffentlich kommt er bald nach Hause, dass ich ihn fragen kann. Dann weiss ich doch woran ich bin. Ich habe ihn wirklich so rasend lieb und bin ihm immer treu. Wenn er das getan hat, dann weiss ich wirklich nicht was aus mir wird. Die Wahrheit wird er mir doch nicht sagen. Aber ich sehe es seinem Gesicht doch an ob er lügt oder nicht. Oh, Gott wie ist das Leben schwer. Wieviel habe ich schon in der letzten Zeit geweint. – Wir bleiben bis zum 2. März in All.
Allenstein Dienstag d. 24.II.25
Es ist noch früh am Tage und doch habe ich schon das Bedürfnis in mein Tagebuch zu schreiben. Gestern habe ich den Franz gefragt, ob er mich betrogen hätte. Da wurde er sehr wütend und sagte es sei sehr gemein, dass ich so etwas von ihm glaubte. Er habe noch keiner Frau die Treue gebrochen und würde es auch niemals tun. Ich würde ihm ja sehr gerne glauben, wenn ich nicht immer so eine traurige Ahnung hätte. Heute haben wir Probe. Später schreibe ich nochmal. Jetzt ist es schon 7 Uhr Abends. Ich will noch schnell ein paar Worte schreiben. Heute um 10 Uhr war Probe. Sie ging ganz gut. Wir haben jetzt jeden Tag Probe. Montag ist ja schon die Aufführung. Die kleine Paula Hömann scheint „unberufen“ ein sehr liebes Mädchen zu sein. Sie liebt den Schulz so sehr. Sie hat schon einen kleinen Jungen. – Franz war heute Vormittag wieder so unfreundlich zu mir. Ich glaube er liebt mich nicht mehr. Na ich werde weiter sehen wie er zu mir ist. Doch nun für heute Schluss.
Allenstein Samstag d. 28.II. 25
Heute Morgen ist Reichspräsident Ebert gestorben. Wir fürchten, dass er gerade Montag beerdigt wird, dann können wir nämlich nicht spielen. Das wäre allerdings nicht schön. – Ich kann die Schlehmann nicht leiden. Sie versucht mit allen zu poussieren. Sogar mit Papa und Franz. Scheint überhaupt sehr falsch zu sein. Na wenn ich etwas merken sollte, dass sie mit Franz anfängt dann sage ich zu ihr „Dirne.“ – Papa, Onkel Heinz und Franz sind Kneipen gegangen. Papa ist auch immer so abscheulich zu Mutti und Berta. Mir tut sie so leid. Gestern war die Schlehmann so frech zu Papa und Franz. Und als Dank dafür ging Papa mit ihr in die Conditorei. Sie tat so heimlich. Papa sagte, ich sollte es Mutti nicht sagen. Aber ich habe es doch gesagt. Ich betrüge Mutti nicht. – Bald ist mein Geburtstag. Wir sollen da in Angerburg spielen. Papa will mit Mutti rüberkommen. Ich freue mich schon sehr darauf.
Christian überflog die nächsten Einträge, die sich in ihren Beschreibungen der familiären Zwiste und Reibereien, Eifersüchteleien unter der Truppe und Zerwürfnissen zwischen seiner Tante und Franz wiederholten. Es wurde für ihn wieder spannend, als seine Tante das Theaterspielen aufgegeben hatte und schwanger war.
Bartenstein Freitag d. 3. April 25
Ich habe schon eine ganze Weile nicht mehr geschrieben. Wir hatten wieder eine Pleite nach der anderen. Ich bin verzweifelt, mir ist meine Regel schon 9 Tage ausgeblieben. Ich weiss gar nicht was ich machen soll. Franz hat gesagt er will mir einen Tee besorgen. Der soll helfen. Was fange ich bloss
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