Anderer Welten Kind (German Edition)
wo sich der Franz jetzt rumtreibt. Na, mir ist es egal … Wollen sehen, was der morgige Tag bringt.
Allenstein, d. 27. Februar 30
Wieder sind 2 Jahre vergangen, ohne dass ich zur Feder gegriffen habe, um Dir, mein liebes Büchlein, wieder mal mein Herz auszuschütten. Zwei lange, lange Jahre, in denen ich viel viel erlebt habe. 1 ½ Jahre war ich Vertreterin für Binden, jetzt verteile ich Papas „Erst Mehrheit, dann Frieden“. Franz hat natürlich in der ganzen Zeit keinen Pfennig Geld geschickt. In letzter Zeit 2 Briefe, in denen er sich wieder zu vertragen gedenkt. Er möge bleiben wo der Pfeffer wächst. Ich bin jetzt noch immer mit Rolf zusammen. Wie lange noch? Wir haben uns in den 2 Jahren sehr, sehr viel gezankt. Besonders in der Zeit als ich von ihm schwanger war. Ich habe oft in den 2 Jahren rumpoussiert. Fritze, Stanislaus, Horst, Kurt, Hubi u.s.w. Am meisten und schlimmsten mit Fritze? Na Schwamm drüber, es gibt Sachen, die man nicht mal schreiben kann. Nur den Mund muss man halten, nichts unnützes reden. Es ist dann am besten. Mit Rolf war es schon mal Schluss, von mir aus, aber er kam und weinte und bat, sodass ich wieder zu ihm zurückkehrte. Ob zum Glück oder Unglück? Wer kann es wissen? Er war in der schweren Zeit meiner „Krankheit“ so aufopfernd und nett und lieb zu mir, dass ich gar nicht anders konnte, als bei ihm zu bleiben. Ich kenn mich jetzt selbst nicht mehr aus. Seit ich diesen kleinen, lieben Johannes Vogel, Offiziersanwärter bei der Artillerie vor 3 Wochen kennen gelernt habe, weiss ich selbst nicht mehr, was ich tun soll. Ich glaube ich habe ihn sehr lieb, oder ist es Sinnlichkeit? Ich weiss es selbst nicht. Beide, Rolf und er haben mich vor die Wahl gestellt. Einer von beiden. Und es ist doch so sehr sehr schwer. Augenblicklich denkt jeder, er ist der Auserkorene. Diese ewigen Lügen sind fürchterlich. Aber was soll ich tun? Mit Rolf bin ich fast 3 Jahre zusammen. Das schmiedet aneinander. Und wiederum, wenn ich denke, ich sollte mit dem lieben Kleinen Schluss machen, ich kann es nicht, aber mit Rolf kann ich es auch nicht. Ich bin ratlos. Was soll ich tun. Ich habe beide so lieb. Gibt es das, dass man 2 Menschen auf einmal lieben kann? Es soll so was doch nicht geben. Und bei mir ist es tatsächlich der Fall. Vielleicht ist es die Gewohnheit, die mich an Rolf kettet. Rolf hat heute Reviergestellung. Johannes war eben hier. Er ist so glücklich und zufrieden. Soll ich ihm alle Ideale nehmen? In ihm alles zertreten? So grausam kann ich nicht sein. – Morgen mehr.
Allenstein d. 10. Mai 1930
Wieder schon eine ganze Zeit habe ich nicht ins Buch geschrieben. Und gerade in dieser Zeit ist doch alles ganz anders geworden. Doch ich will alles der Reihe nach aufschreiben. Also, mit Rolf hatte ich Schluss gemacht. Es begann eine wunderbare Zeit mit meinem kleinen Johannes. Ich habe ihn wirklich so sehr, sehr lieb. Nach Rolf habe ich mich aber auch kein bisschen gebangt. Ich glaubte ihn doch so sehr zu lieben und jetzt sehe ich, dass ich überhaupt nichts mehr für ihn übrig habe. Manchmal bestelle ich ihn mir nur noch um zu sehen ob er mich schon vergessen hat. Dann spiel ich ihm etwas Komödie vor. – Doch nun zum Johannes. Also ich war sehr, sehr glücklich. Bis er einmal ganz verstört zu mir kam und mir sagte, er ist vor die Wahl gestellt worden, ich oder sein Dienst. Er hätte den Dienst sehr vernachlässigt und dann wäre ich noch nicht geschieden, er müsste mich verlassen. Er weinte furchtbar und das Ende vom Liede, er blieb doch bei mir, aber heimlich. Er kommt jetzt immer heimlich zu mir. Ich wollte mit ihm Schluss machen, weil ich doch älter bin, aber er sagt, er kann ohne mich nicht mehr leben. Er will weg von der Reichswehr. Am 2. Juni kommt er sowieso aus Allenstein fort. Ich habe ihn so sehr lieb, was soll ich bloss tun? Wenn ich doch gewinnen würde, dann müsste er studieren. Ostern war er auf drei Tage nach Hause gefahren. Die übrigen Tage war er bei uns. Der arme kleine Kerl hat so einen scheusslichen Ausschlag im Gesicht. Gestern lag er zu Hause im Bett. Hoffentlich kommt er heute her. Pfingsten will ich ihn auch einladen zu uns zu kommen.
Allenstein d. 13.V.30
3 Tage sind vergangen, seitdem ich das letzte Mal schrieb. Damals war es Sonnabend und ich wartete auf Johannes. Er kam auch, aber nur um mir zu sagen, dass er ins Lazarett müsste. Leider sind nur Sonntag und Mittwoch für Besucher. Und immer nur 2 Stunden. Ich bin so oft am Lazarett vorbei
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