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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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gegangen, aber habe ihn ausser einem mal nicht mehr gesehen. Schrecklich öde sind die Tage. Ich sitze nur immer zu Hause und bange mich nach meinem kleinen Jungen. Morgen ist Mittwoch, hoffentlich sehe ich ihn dann. Er schrieb mir heute eine Karte, auf der stand, er müsste im Bett liegen. Hoffentlich ist es nicht schlimmer mit ihm geworden. Ich bange mich ganz schrecklich nach ihm. Wie wird das erst werden, wenn er am 2. Juni ganz von hier fort kommt? Ich will ja auch sehen, dass ich bald nach Berlin komme. Hier kann man buchstäblich versauern. Papa schickt Mama jetzt auch nur 150 RM. monatlich. Wie soll man davon bestehen. Wir haben Vertreter für Papas Bücher angenommen. Von 6 ist glücklich einer geblieben. Es ist ganz trostlos. Heute bekomm ich von Rolf einen Brief, indem er mir schrieb, er könne morgen (Wir hatten uns morgen verabredet) nicht kommen, ich soll aber um 6 Uhr am Tor sein. Er schrieb so zärtlich. Was bezweckt er damit? Ach wenn der Johannes doch schon gesund wär. Hoffentlich kommt er Pfingsten zu uns. Mein liebes, kleines Jungchen, ich liebe dich so sehr, so sehr.
    Allenstein, den 3. September 31
    Alles ist Quatsch von Rolf und Thomas. Mit Rolf bin ich schon 3 Monate auseinander. Mit Thomas auch. Ich habe einen Robert kennengelernt, in den ich mich beim ersten Sehen verliebt habe. Er war aber verlobt. Er war, er ist nicht mehr. Habe ich es heraufbeschworen? Ich weiss es nicht. Ich kenn ihn jetzt einen und einen halben Monat. Wir sind täglich zusammen und ich habe ihn von Tag zu Tag lieber. Seit vorgestern ist er mit seiner Braut auseinander. Meinetwegen. Ich kann nichts dafür, aber ich bin sehr, sehr glücklich. Rolf ist mir so sehr, sehr gleichgültig geworden. Hoffentlich bleibe ich mit (?) zusammen. Ich habe ihn so lieb.
    Dienstag den 20. März 1934
    Wie lange Zeit ist vergangen, seitdem ich die letzten Worte geschrieben habe. Was habe ich nicht alles erlebt. Das grösste und bitterste Erlebnis war mein grosse, grosse Liebe zu Reimann.. Eine selige, selige Zeit. Dann das trostlose Einerlei als er im Gefängnis saß. Dieses verzweifelte Warten auf seine Freilassung. Und dann dieses schreckliche Ende. Das Bewußtsein alles, alles nur Lüge. Alle seine Schwüre, seine Küsse, seine so überaus liebe, liebe Art. Die Liebe zu Mathilde und Karl, Lüge, nichts als Lüge und Heuchelei. Die namenslose Seligkeit als er Weihnachten freikam. Die unbändige Freude – alles alles vorbei. Aus! – Auch dieses ging endlich vorbei. Meine Stellung zuerst im Gau, jetzt im Haus der Arbeit halfen über vieles hinweg, halfen zu vergessen. Jetzt fühle ich mich wohl. Mit keinem Manne etwas zu tun haben. Das ist schön. Ab und zu eine Verabredung, Anton, Schröder u.s.w. Das verpflichtet zu nichts, ist eine amüsante Abwechslung. Mein Leben fliesst dahin. Ruhig. Tagsüber Dienst. Abends ins Bett. Manchmal, doch selten, ins Kino. Das ist jetzt alles. Was wird noch weiter kommen?
    Es war schon nach zweiundzwanzig Uhr, als Christian das Buch sinken ließ und an die Decke starrte. Er war verwirrt und konnte das Gelesene nicht fassen. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Hatte er gerade in eine Welt geschaut, die er in seiner Familie nie und nimmer angesiedelt hätte, die seine Informationen über brave, treue, selten glückliche Verwandte als Lügengespinst enttarnten, als kollektive Amnesie zur Erschaffung einer heilen Welt für sie, die Kinder? In welches Nest hatte er gestoßen? Er wusste nicht, was ihn mehr beeindruckt hatte, die Promiskuität seiner Großtante, die Schauspielerei, in der sie ein äußerst armes Vagabundenleben von Tag zu Tag, von Vorstellung zu Vorstellung, von leeren Sälen zu leeren Sälen durchlitt, oder der Kitsch, der aus den Gedichten troff. Aber das beschäftigte ihn im Moment noch nicht, das sollte später kommen, als er selbst in einen gefährlichen Taumel geraten war und Halt, Verständnis und Erklärungen suchte.
    In dieser Nacht stand ihm das Bild seiner Großtante vor Augen, ein Bild, das er sich ausdenken musste, da er sich nicht an ein Foto von ihr erinnerte. Die meisten Familienfotografien waren auf der Flucht verloren gegangen oder in Ostpreußen geblieben. So wie seine Mutter konnte sie nicht ausgesehen haben, so rund und bieder, sie musste etwas sehr Anziehendes gehabt haben, wenn so viele Männer auf sie geflogen waren. Ihm kam ein Foto in den Sinn mit einer der Tanten seiner Mutter mit einem Kind auf dem Arm. Pagenfrisur, messerscharfer Pony, ein junges, hübsches Gesicht.

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