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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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müssen. Lieber quälte er sich aus Mantel und Jackett, den Stock an die Wand gelehnt, und riskierte einen unsicheren Stand. Über die Tasse dampfenden Tees, die auf dem Abstelltischchen aus Eichenholz mit der polierten Oberfläche und dem runden gestickten Deckchen neben seinem Sessel stand, freute er sich jedes Mal. Der Abend war lang und das Ehepaar Kremer hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, ihn langsam in Angriff zu nehmen.
    Als Christian sich verabschieden wollte, war die Wohnzimmertür verschlossen und Stefan bedeutete ihm, einfach zu gehen, er würde seine Eltern von ihm grüßen. Beim Hinausgehen bemerkte Christian die dunklen Streifen abgeriebenen Gummis an den weißen Holzleisten des Flures.
    Herbert Kremer war ein umgänglicher Mensch, obwohl viele seiner Kollegen ihn für schlecht gelaunt hielten. Seine Missstimmung, die begann, sich in seinem runden Gesicht einzugraben, war nicht seine Natur, sie war ihm aufoktroyiert worden durch den Verlust seines Beines und die Schmerzen, die er verursachte. Er fühlte sich wie eine gequälte Kreatur, die der ständigen Erinnerung an das Unbegreifliche nicht entkommen konnte, die immer noch nicht akzeptieren konnte, was ihr widerfahren war. Rational war ihm seine Existenz als Kriegsversehrter durchaus bewusst, immerhin hatte er das Bein dem Vaterland geopfert, aber dank seiner Einbildungskraft durchlebte er die Fortsetzung des gesunden Lebens, bevor das Schicksal ihm in der Form einer metallummantelten Göttin den Weg in eine gänzlich neue Existenz gewiesen hatte. Vorher war er jovial, gesellig und konnte ganze Gesellschaften mit Geschichten über Ostpreußen unterhalten, was ihm heute nur noch selten gelang.
    Das Bein bestimmte sein Leben. Versehrtensport, Versehrtenausweis, Versehrtenrente, Versehrtensitzplatz im öffentlichen Verkehr. Neugierige Blicke, wenn er am Strand von Travemünde die Prothese, die matt in der Sonne glänzte in ihrem hellen Holz, neben den Strandkorb stellte, die Geschwindigkeit einer Schnecke, mit der er sich durchs Leben bewegte, die, wenn er es eilig hatte, seinen Körper in einen Taumel aus frei schwingendem Arm, nach vorn geworfener Prothese, weit ausholendem Stockschritt und gefährlich schwankendem Oberkörper versetzte, solange der Stock noch in der Luft war. Sein persönlicher Rhythmus zwei Gängen unterworfen, einem langsamen und einem weniger langsamen, die er nicht beliebig beschleunigen konnte.
    Wenn man Herbert Kremer gehen sah, wie er aus dem Körper Schwung holte, den Stock weit abgespreizt in die Erde rammte und das Holzbein mit ausholendem Schwenk nach vorne schleuderte, hinterließ er den Eindruck eines dynamischen, zielstrebigen Menschen. In der Bewegung lag etwas Optimistisches, denn er schleppte sich ja nicht voran, sondern sein Bewegungsapparat hatte etwas Schwungvolles, Vorwärts-Strebendes. Er symbolisierte in gewisser Weise die neue Zeit, die mit Verve und Tempo das Leben nach der Katastrophe der Niederlage neu modulierte. Gleichzeitig belud das Holzbein diese neue Zeit mit der Erinnerung, war nicht von dem Vergangenen zu trennen, wurde mitgeschleppt wie ein ungeliebtes Balg und bildete schließlich eine Einheit aus Nicht-Loswerden des Alten und Erstürmen einer neuen Zukunft.
    Der Sturm tobte jetzt noch heftiger und die Haustür schlug Christian aus der Hand und knallte in ihren Rahmen. Er wählte den Weg am Rondell entlang, weil er fürchtete, von einer herunterfallenden Schindel getroffen zu werden. Es war noch kälter geworden und sein Atem wurde als kleine Wolke vom Wind weggerissen. Graupel stürzte fast waagerecht vom schwarzen Himmel.
    Christian war froh über den Verlauf des Nachmittags. Stefan war ihm wieder so nah wie eh und je, so hoffte er wenigstens, dass auch Stefan es empfinden würde. Er selbst benutzte dieses neue, alte Gefühl als Schild, als Schutzwall, hinter dem sich seine wahren Interessen verbergen konnten. Wenn er den Schein wahrte, war alles möglich. Stefan würde sein Geheimnis nicht als Waffe gegen ihn verwenden können und ihm war wohl bei dem Gedanken an Stefans Freundschaft, denn so eindeutig war ihm seine neue Gefühlslage noch nicht, als dass er seine Vertrautheiten auf dem Altar des Neuen und Unbekannten geopfert hätte. Denn bei Lichte gesehen, begründete sich seine schon beginnende Fixierung auf von Dülmen und die Hoffnung, über ihn Malskat zu begegnen, und dem, was er sich ausmalte, auf nichts. Er hatte jemanden kennengelernt, der sich offensichtlich nicht nur über ihn

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