Anderer Welten Kind (German Edition)
zwischen ihnen eine freundliche, einander zugetane Verbindung entwickelt, die dennoch von Unsicherheiten und Distanzen durchlöchert war, aber beide hatte keine Anstalten gemacht, diesen Zustand zu ändern. Sie wussten etwas voneinander, das war kostbar, und sie wären niemals auf die Idee gekommen, diese Erfahrung durch angeberisches Verhalten zu Markte zu tragen und damit in den Schmutz zu ziehen. Selbst Stefan hatte eher beiläufig nur die notwendigsten Informationen erhalten, das absolute Minimum, um ihn nicht zu kränken. Helgas Möse hätte ihn ein für allemal geprägt, so dachte er damals, er machte sie in seinen Fantasien zum Urbild der weiblichen Möse schlechthin, er hatte auch keine Vergleiche, und indem er diesem Bild treu blieb, blieb er auch in gewisser Weise Helga treu. Er hatte nie versucht, mit einem anderen Mädchen aus der Schule oder bei den Nachmittagscafés im Ruderverein anzubändeln, aber auch nicht die Beziehung zu Helga vertieft.
Sie hatte ihm gerade einen Antrag gemacht. Sollte er sich freuen? Seine Gedanken überschlugen sich. Von Dülmen, das Tagebuch, die Tage im Deepenmoor, das Bild mit den drei Männern am Pool wirbelten in seinem Kopf herum, und jetzt Helga Korten. Wie sollte er das zusammenbringen? Er war nicht verliebt. Helgas Gegenwart war ihm sehr angenehm, er mochte sie einfach, doch er war nicht verliebt. Sie wäre seine erste wirkliche Freundin, die Freundschaften aus der Kindheit mit Gisela und Heinchen, Mädchen aus seiner Klasse in der Volksschule, zählte er nicht. Eine Freundin würde seinen Status verbessern, er würde auf einen Schlag zu den Erwachsenen gehören, das dachte er am Rande mit, als er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Und er könnte gegenüber Ricky oder später Malskat besser dastehen, nicht als kleiner Junge, den keiner ernst nähme. Das schwang auch mit, als er Helgas Hand nahm und gar nichts sagte, nickte und grinste und vor allem daran dachte, dass er schon bald wieder die Gelegenheit hätte, ihre Möse zu bewundern.
Nun, nachdem das geregelt war, blieben sie Händchen haltend sitzen, bestellten noch einen Tee und unterhielten sich darüber, warum es so lange gedauert hätte. Da Christian schlecht zugeben konnte, dass es ihm im Traum nicht eingefallen wäre, ihr diesen Antrag zu machen, begnügte er sich damit, vor sich hinzumurmeln, er hätte gedacht, sie wolle nicht und der Nachmittag sei ein Versehen gewesen.
„Dummkopf“, sagte sie, „ich habe bis heute darauf gewartet.“
Es ist doch etwas Erstaunliches, wie schnell sich ein Zugehörigkeitsgefühl einstellt, wenn die Hürden der Unsicherheiten erst einmal überwunden sind. Helga plapperte drauflos, schlug gemeinsame Aktivitäten für das Wochenende vor, wie am Samstag nach der Schule an der Wakenitz spazieren gehen oder nach Travemünde fahren, und sie veränderte ihren Blick. Es lag jetzt etwas Selbstverständliches darin, als wenn Christian jetzt ihrem Leben einverleibt wäre. Sie rückte ihren Stuhl näher an seinen heran, hakte sich bei ihm ein und beide schauten aus dem Fenster.
Christian ging das alles zu schnell. Für ihn hatte sich eigentlich nichts an seinen Gefühlen und doch alles geändert und er kam sich schon wie ein Betrüger vor und musste sich zusammennehmen, damit sie nicht merkte, wie fremd ihm der neue Stand als Freund war. Er war nicht berechnend oder kühlen Kopfes auf ihren Antrag eingegangen, das hätte er gar nicht gekonnt, taktisches Verhalten war nicht gerade seine Stärke. Er wäre nur nicht selbst auf die Idee gekommen und jetzt musste er feststellen, dass er den neuen Umgang miteinander noch lernen musste, den sie schon instinktiv begriffen hatte, denn ein Wort ist verbindlich und schafft Sicherheiten und man muss sich nicht mehr herumschlagen mit fragenden Blicken, Ängsten vor Zurückweisungen, Missverständnissen und der frustrierenden Suche nach Bestätigungen für die eigenen Empfindungen. Was hatte sie nach Zeichen geschaut! Von ihm war nie etwas gekommen, außer der gleichbleibenden Freundlichkeit und Unsicherheit ihr gegenüber.
Christian redete sich ein, mit der Zeit das gleiche Selbstverständnis zu gewinnen, das sie unzweifelhaft an den Tag legte, und alles in allem war er doch froh, dass er gerade so eben die Kurve gekriegt hatte. Als er sie anschaute, durchrieselte ihn die Freude darüber, wie hübsch sie war, wie lebendig und wie ihm zugewandt. Er hatte jetzt eine Freundin. Plötzlich war er sehr stolz.
Das Eiscafé füllte sich langsam und
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