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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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sollte das mit dem Bild des Mannes zusammenpassen, den sie gerade vor ein paar Minuten kennengelernt hatte? Günter, der Maurer. Sie kannte ihn zwar nicht gut, hatte ihn ein-, zweimal an Renates Seite gesehen, ein grobschlächtiger, bulliger Mensch, so weit von einem Künstler entfernt, wie man es nur sein konnte. Als Christian nicht gleich reagierte, wiederholte sie „Günter, Renates Freund?“, jetzt schon mit einem ungeduldigen, gereizten Unterton in der Stimme.
    Christian nestelte nervös am Reißverschluss seines Anoraks und schaute angestrengt geradeaus. Er wusste, er würde aus der Geschichte nicht mehr herauskommen. Seine einzige Chance bestand darin, ihre Zweifel zu zerstreuen, wenigstens für heute Abend, wenigstens so lange, bis er ihr diese absurde Geschichte plausibel verkaufen konnte. Ein Kiesel wurde Opfer seiner Sackgasse und er kickte ihn schwungvoll weg und beschleunigte seinen Schritt. Helga machte einige schnelle Trippelschritte, um mit ihm wieder gleichauf zu sein. Er zog seine Nase hoch. Der Seitenblick von Helga wirkte befremdlich, schon beinahe eine Spur missbilligend.
    „Ja, wer sonst?“, sagte er und schob schnell hinterher, dass die beiden sich von früher kannten, sie wären wohl eine Zeitlang Nachbarkinder gewesen oder so. Jedenfalls kannten sie sich.
    Er wollte das Thema beenden und fragte sie, was sie denn noch für Hausaufgaben erledigen wolle und ob sie sich morgen sähen. Sie bedachte ihn nur mit einem geduldigen Blick, den man Kindern schenkt, wenn sie gar nichts begreifen wollen, und brachte ihn dann endgültig in die Bredouille, als sie anmerkte – augenblicklich wieder liebevoll, denn er war ja jetzt ihr Freund –: „Nach flüchtiger Bekanntschaft sah das nicht aus, Christian, er schien dich gut zu kennen.“ Und genervter: „Komm, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“
    Sie ging immer noch davon aus, dass Christian nur mundfaul war, ihr Misstrauen war noch nicht geweckt. Trotzdem begann sie sich langsam zu fragen, ob er ihr etwas nicht erzählen wollte, und das passte überhaupt nicht in ihre Vorstellung von Liebe und Vertrauen und in ihr begann ein Verdacht zu keimen, dass sein Verhalten ein Wesenszug von ihm sein könnte und nicht nur Produkt seiner Schüchternheit. Aber an einen Irrtum wollte sie noch nicht glauben.
    Christians Schultern spannten sich, er wäre am liebsten davongelaufen und es kostete ihn ungeheure Kraft, die Fassade eines unschuldigen Menschen aufrechtzuerhalten, der gar nicht wusste, was man von ihm wollte. In seiner verkrampften Haltung gelang es ihm nicht, sich ihr zuzuwenden, als er sagte: „Wir sind mal im Venezia ins Gespräch gekommen und er hat mir etwas über mittelalterliche Malerei, von Cranach, dem Älteren, erzählt und das hat mich interessiert. Mehr war da nicht und ich habe mich heute auch gewundert, als er vorhin so vor dem Tisch auftauchte.“ Cranach, der Ältere, hoffentlich fragt sie nicht nach Bildern, dachte er, aber es hört sich doch überzeugend an.
    Er atmete tief durch und wusste, dass sie es ihm nicht abnehmen würde, aber zu seiner Überraschung nickte sie, den Mund zu einer Spur Anerkennung verzogen, und hakte sich bei ihm ein.
    Als sie sich ein paar Straßen weiter voneinander mit einem Kuss verabschiedeten, der ihre neue Beziehung zu besiegeln schien, hoffte Christian, dass alles in Ordnung wäre. Doch als er ihr nachschaute und sie sich nicht umdrehte, ahnte er, dass nichts in Ordnung war, dass er den schlechtesten aller Starts erwischt hatte, fast so desaströs wie der Beginn seiner Bekanntschaft mit Ricky.
    Seine Bilanz sah verheerend aus. Stefan, sein Bollwerk, verstimmt und auf dem Rückzug, Ricky, überheblich, ironisch und undurchschaubar, seinem Plan, Malskat zu begegnen, keinen Schritt näher gekommen und Helga, ach, Helga, wie gewonnen, so zerronnen. Der Nieselregen passte vorzüglich zu seiner Stimmung und er schlich mit eingezogenen Schultern Richtung Wakenitz, einem auf der ganzen Linie geschlagenen Krieger gleich.
    Vor dem Kino Hoffnung in der Hüxtertorallee standen zwei Peterwagen mit eingeschaltetem Blaulicht, die wie rasend gewordene, kleine Leuchttürme blaue Blitze im Kreis schleuderten. Die Straßenlaternen warfen trübes, gelbes Licht. Eine kleine Gruppe junger Männer und Frauen, vielleicht waren es acht bis zehn, offensichtlich Studenten, stand unschlüssig vor sechs Polizisten, die den Eingang zum Kino freihielten, doch niemand schien den polizeilichen Schutz in Anspruch nehmen zu

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