Anderer Welten Kind (German Edition)
natürliche Gabe das Verhalten prägte als ein der sozialen Schichtung geschuldetes Ritual, das verteidigt werden müsste. So fiel es Christian leicht in diesem Klima der Liberalität, des guten Benehmens und der Toleranz, sich einigermaßen wohlzufühlen, ohne ständig an seine Herkunft zu denken. Dieser Kokon der Wertständigkeit umgab auch Helga und sie verhielt sich ihrer Umgebung gegenüber zwanglos und kein bisschen arrogant.
Seit er mit ihr geschmust hatte, waren sie so etwas wie ein nicht offizielles Paar, das sich nur selten wie eines verhielt. Sie gingen sich zwar nicht aus dem Weg, dennoch war ihr Umgang miteinander oft unsicher und sie beäugten sich gegenseitig. Über ihre Beziehung hatten sie noch nicht gesprochen und ihre gegenseitigen Gefühle waren ihnen weitestgehend unentschlüsselt. Für Helga war die Sache eindeutiger, sie war verliebt. Da sich aber Christian neutral verhielt, wagte sie es nicht, ihn mit ihren Gefühlen zu konfrontieren, aus Angst, er könnte sich vollkommen zurückziehen. Deshalb suchte sie nach Zeichen seiner Zuneigung und war enttäuscht, dass er vage blieb, und rechnete es eher seinem schüchternen Charakter zu als einer Ablehnung ihres Bemühens. Das ging jetzt schon eine Weile so. Heute wollte sie sich ein Herz fassen und schon den ganzen Weg über formulierte sie innerlich die passenden Sätze und äußerlich stellte sie eine charmante Sicherheit zur Schau, scherzte und neckte Christian, um eine gute Ausgangssituation herzustellen.
Das Venezia war fast leer. Die Vorstellung, bei diesem Wetter Eis zu essen, zog nicht gerade viele Menschen an. Sie fanden einen Platz am Fenster und Christian setzte sich so, dass er die Ecke Königstraße/Hüxstraße im Auge behalten konnte. Sie bestellten schwarzen Tee. Das Gespräch kam nicht recht in Schwung, weil Christian unkonzentriert immer wieder nach draußen schielte, und zwischen ihnen breitete sich allmählich ein Unwohlsein aus, das Helga schließlich unruhig auf ihrem Stuhl hin- und herrutschen ließ. Ihr entglitt die Situation und das fahrige Verhalten Christians begann sie auf sich zu beziehen. Sie fühlte sich ohnmächtig angesichts Christians offensichtlichen Desinteresses.
„Kannst du mal aufhören, immer aus dem Fenster zu starren!“, fuhr sie ihn eine Spur zu aggressiv an. Sie konnte ihre Enttäuschung nicht länger verbergen.
Schweigen. Was sollte Christian auch antworten? Er musste sich zusammennehmen. Ihm fiel mal wieder nichts ein und es wurde peinlich. Er versuchte, seine Hand auf ihre zu legen, die sie abrupt wegzog. Sie schaute jetzt böse und hatte einen verkniffenen Zug um den Mund, der ihn noch hilfloser machte.
„Es ist nichts, gar nichts, wirklich“, versuchte er es, aber sie schüttelte nur den Kopf.
„Ich geh dann wohl lieber“, sagte sie und winkte der Kellnerin.
„Nein, bleib, bitte“, sagte er, „es ist wirklich nichts. Es ist nur …“ Er brach ab und zog ohnmächtig die Schultern hoch.
Helga zögerte, seine offensichtliche Hilflosigkeit rührte sie und sie bildete sich plötzlich ein, dass sein Verhalten durch seine Schüchternheit provoziert sein könnte und er vielleicht nur nicht wüsste, wie er sich ihr gegenüber öffnen könnte.
Ich muss das jetzt in die Hand nehmen, dachte sie, sonst wird nie etwas draus. Wenn ich gehe, ist es ganz aus.
Sie schaute ihn an, fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, versuchte ein Lächeln, das ihr nur schräg gelang, und machte der Kellnerin, die sich dem Tisch näherte, ein Zeichen, dass sie noch blieben.
„Wir müssen mal reden“, begann sie, „du bist immer so … so“, sie suchte nach dem passenden Wort, „so abweisend und ich weiß gar nicht, was ich davon halten soll.“
Als er fragend seine Stirn runzelte und gerade antworten wollte, er wüsste nicht, was sie meinte, hatte sie ihn schon gefragt: „Wollen wir miteinander gehen?“ Da war es raus.
Damit hatte er nicht gerechnet. Er wurde von Helga Korten gefragt, ob sie ein Paar werden wollten. Auf diesen Einfall wäre er nicht gekommen. Er hatte gedacht, dass ihre Rumschmuserei eine einmalige Sache gewesen wäre und sich daraus ein freundschaftliches, manchmal auf Abstand bedachtes, manchmal missverständliches Verhältnis ergeben hätte. Ihre Blicke hatte er bemerkt, ihnen aber nicht diese Bedeutung beigemessen.
Es hatte sich damals so ergeben, nein, das stimmte nicht. Helga hatte die Sache vorangetrieben, die Initiative ergriffen. Er war bei ihr zu Hause gewesen, wegen
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