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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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Kaffeekränzchen alter Damen war ebenso vertreten wie junge Erwachsene und Eltern mit ihren Kindern, die sich ordentlich zu benehmen wussten und auf strenge Blicke eingeschüchtert reagierten. Dunkle Anzüge und kecke Hütchen auf frisch ondulierten Dauerwellen bezeugten, dass ein Besuch im Niederegger nicht zu den alltäglichen Vergnügungen en passant gehörte.
    Als sie den Verkaufsraum durchquerten, mussten sie sich durch eine dichte Menge zwängen, der Weihnachtsverkauf war in vollem Gange und alles, was sich aus Marzipan formen ließ, vom Brot und Obst- und Gemüsekorb, über Weihnachtsengel und Weihnachtsmänner bis zu den traditionellen Sortimenten in verschiedenen Größen und Verpackungen, fand hektischen Absatz. Der Renner war die Marzipankartoffel.
    „Wir bestellen immer Marzipan aus Königsberg“, sagte Christian, „das schmeckt besser, behaupten meine Eltern. Ich mag eh kein Marzipan, außer den Kartoffeln.“
    „Ohne Marzipan kein Weihnachten“, beschied Helga lachend, „und das Niederegger Marzipan ist unvergleichbar. Ich kann das beurteilen, ich bin quasi damit hochgepäppelt worden.“
    Nachdem sie zwei Gedecke bestellt hatten – heiße Schokolade mit einem Sahnehäubchen und einer Marzipannusstorte, die Spezialität des Hauses und, hier waren sie sich wieder einig, mit keiner anderen Nusstorte in der Stadt, wahrscheinlich weltweit, zu vergleichen –, zeigte Christian auf die großen Ölgemälde in ihren schweren goldenen Rahmen, die die Wände des Niederegger buchstäblich bevölkerten. Es waren Landschafts- und Städtebilder mit Motiven von der Ostsee und der Stadt Lübeck. Küsten- und Strandlandschafen, mit und ohne Katen, Hafenanlagen, die sieben Türme, die Salzspeicher, das Holstentor, Hinterhöfe und Gassen, in denen Licht und Schatten spielten und die in überwiegend frischen und hellen Farben gemalt waren.
    „Das ist mein Lieblingsmaler“, sagte er, „Reuter oder Renter heißt er, wenn ich den Namen richtig entziffert habe. Er malt so lebendig, überhaupt nicht kitschig.“
    Helga schaute sich zum ersten Mal nach unzähligen Besuchen und Gedecken die Bilder genauer an. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, diese Schinken – Ölgemälde in goldenen Rahmen waren Schinken – könnten irgendetwas in ihr auslösen, sie gehörten einfach zum Niederegger-Stil. Aber als sie die Begeisterung in Christians Augen sah und die Lebhaftigkeit seiner Gesten, versuchte auch sie, in den Bildern mehr zu sehen als nur Dekoration. Es stimmte, die Farben waren sehr lebhaft und die Perspektiven irgendwie modern, wirklichkeitstreu, nicht wie die Gemälde eines Caspar David Friedrich, dessen Rügenbild von den Kreidefelsen sie in der Schule besprochen hatten und das in Wirklichkeit eine Fantasieansicht war und das ihr gar nichts sagte.
    „Jetzt zeig ich dir mein Lieblingsbild.“
    Christian war ganz aufgeregt. Er stand einfach auf und fasste Helga an der Hand. An der Treppe hielten sie an einem Tisch vor einem Mann, der die Lübecker Nachrichten las, nur einmal kurz aufschaute, als sich die beiden vor ihm aufbauten, und sich nicht weiter stören ließ, nachdem er bemerkt hatte, dass nicht er gemeint war.
    Das Bild zeigte das Brodtener Ufer in Travemünde, wie es lehmig steil abfiel, Bäume und Steine mit sich reißend. Der Strand, der in das leicht gekräuselte Meer überging, war übersät mit Ästen, verdorrten Bäumen und Seetang, vom Wasser blank geputzten Stämmen und glatten Felsen, die vom Meer umspült wurden. Die See war blaugrau und vermischte sich mit dem wolkenverhangenen Himmel.
    „Dort habe ich im Sommer immer gespielt, bin hochgeklettert und habe mich gefühlt wie Luis Trenker“, sagte Christian. „Irgendwie erkennt man es sofort, aber es ist auch anders, so als wenn das, was dort viel weiter auseinanderliegt, zusammengedrängt würde. Aber schau mal, die Farben und das Wasser, genauso habe ich es oft gesehen. Ich könnte stundenlang davorstehen.“
    Helga schaute und schaute und sah und sah nichts. Sie sah Christians Entzücken und sie wunderte sich, denn das Bild ließ sie vollkommen kalt, es erinnerte sie an Caspar David Friedrich. Das behielt sie für sich, nickte nur und dachte, was für ein merkwürdiger Mensch doch ihr Freund sei, der solche Bilder liebte, der lebendige Maler kannte und sich nicht zu verhalten wusste, wenn er sie traf, und sie war gespannt, was er noch alles an Überraschungen für sie bereithielte.
    Christian hatte von all dem nichts bemerkt, er war froh,

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