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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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von einer dreiviertellangen Jacke.
    „Sportlicher Kapuzenmantel“, las sie laut vor „mit Strickblende, ganz auf Popeline-Changeant gefüttert, DM 94,75“. Ihre Stimme imitierte dabei einen Conferencier, den sie schon einmal im Fernsehen bei einer Modenschau gesehen hatte, und beide mussten lachen.
    „Den kauf ich mir“, sagte sie leichthin, hielt dann inne, weil sie die kleine Versteifung von Christian spürte. Sie zog ihn kurzerhand zum nächsten Schaufenster und fragte ihn halb neckisch, halb ernst, ob er sie sich in dem chiffonseidenen, halbdurchsichtigen schwarzen Negligé vorstellen könne. Dabei klapperte sie mit den Augenlidern und machte ein Kussmündchen.
    Sie alberten viel herum an diesem Nachmittag. Ein Stück der Mühlenstraße marschierten sie hinkend ganz dicht hintereinander im Gleichschritt, einen Fuß auf der Straße und einen auf dem Trottoir, und Christian, der hinter Helga ging, hielt sie ganz eng umschlungen, seine Nase in ihr Haar versenkt, und er sog ihren Duft ein, was ihnen einige missbilligende Blicke der Passanten einbrachte. Dann sangen sie Drei Chinesen mit dem Kontrabass und bei der Version mit „Ü“ gaben sie sich kleine Küsschen, weil der Mund schon so gespitzt war. Ihm gelang es, sich nicht minderwertig zu fühlen, weil Helga die in seinen Augen wunderbare Gabe besaß, über seine Komplexe hinwegzusehen. Nicht dass sie sie nicht bemerkte. Sie wirkte so durch und durch wenig verstellt, so wenig künstlich ihm gegenüber, dass langsam die Sicherheit in ihm reifte, sie meine es tatsächlich ernst mit ihm und möge ihn um seiner selbst willen. Dieses Gefühl kannte er fast nur mit Stefan und manchmal mit seinen Ruderkameraden, vor allem mit Wolle, zu dem er einen Beschützerinstinkt entwickelt hatte, wenn Henze ihn sich vornahm. Camus würde er lesen und vielleicht sogar Jean-Paul Sartre, dessen Name auch schon des Öfteren gefallen war, obwohl er sich keine Vorstellungen und noch weniger Illusionen darüber machte, dass er alles gleich verstünde und ob es ihm gefiele. Ihn schreckte nicht einmal der Gedanke, er könne Helga ausfragen.
    Das Gesicht der Innenstadt hatte sich in den zwölf Jahren des Wiederaufbaus verändert und Bürgermeister Dr. Böttcher sah seine kühnsten Träume gegenüber den Partikularinteressen seiner Bürgerschaft durchgesetzt. Das Bekleidungshaus Anny Friede besetzte ein ganzes Areal mit großen Schaufensterpassagen und glatten vierstöckigen Fronten. Kohlmarkt, Wahmstraße, Breite Straße und die Holstenstraße bildeten jetzt großzügige Geschäftsstraßen mit schnörkel- und schmuckloser vier- bis fünfstöckiger, rechteckiger Bebauung, in den Reden des Bürgermeisters als nüchtern, dynamisch und funktional beschrieben, und breite Streifen mit Parkbuchten direkt vor den Geschäften luden den noch spärlichen Autoverkehr zu bequemer An- und Abfahrt ein. In den Schaufenstern spiegelte die Warenvielfalt den zunehmenden Wohlstand. Neben roten Klinkern beherrschen jetzt weiß-verputzte Flächen das Stadtbild und die alten engen Sehfluchten waren breiten und hellen Panoramaeinsichten gewichen mit freiem Blick auf die Jacobikirche und das Holstentor. In den noch zu füllenden Zwischenräumen standen schon Kräne bereit. Die dunklen, engen Gassen und Gruben hingegen, von den Sanierungsplänen ausgespart und regelrecht ausgegrenzt, behielten ihren Vorkriegsstatus als dunkelfeuchtes Milieu.
    Sie überquerten den Kohlmarkt und schlenderten zum Rathaus. Christian war beinahe verführt, Helga in die Marienkirche zu bugsieren, so sehr juckte es ihn plötzlich, mit seinem neu erworbenen Wissen über die Malskat-Fälschungen anzugeben. Er fühlte sich nach Helgas Camus-Hinweis in der Defensive und kam sich einmal mehr ungebildet vor. Er erlag jedoch nicht der Versuchung und sagte stattdessen: „Komm, ich zeig dir was.“
    Sie verließen den Markt durch die Arkaden des Kanzleigebäudes Richtung Fleischhauerstraße.
    Als er das Niederegger-Café betreten wollte, zögerte Helga und sie fragte, ob sie denn nicht ins Venezia gingen.
    „Heute mal nicht“, sagte Christian.
    Das Niederegger war gut besetzt, aber sie erwischten noch einen Platz im ersten Stock am Fenster. Rote samtbezogene Stühle mit dunklem Holz, Lampen mit Messingständern auf den Tischen, messingfarbene Balustraden, die einen Innenkreis begrenzten, und helle Stofftapeten schufen eine gediegene Atmosphäre. Die Gespräche wurden leise, fast flüsternd geführt; das Publikum war sehr gemischt. Das

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