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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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nicht. Ingeborg überspielte die Situation, indem sie an den Alltagsritualen festhielt und so tat, als wenn nichts wäre. Sie hatte sich mit ihrem Mann darauf geeinigt, Christian Zeit zu lassen, und Fritz Lorenz hatte zugestimmt, erleichtert, seiner Frau seine Gefühle nicht darlegen zu müssen. Christian strich die Schnitten und hielt sich an Ingeborg, sie wollte er nicht auch noch gegen sich aufbringen. Ihr erzählte er von der Schule und von Helga, er konnte es ihr gar nicht verheimlichen, so stolz war er. Ingeborg freute sich mit ihm.
    „Bringst du Helga mal mit? Ich würde sie gern kennenlernen. Wenn sie so hübsch ist, wie du sagst“ und sie wuschelte ihm den Kopf, was er gerade noch so an Nähe zulassen konnte. Über die Fragen nach Helgas Eltern hielt er sich schon bedeckter, ihm wäre es peinlich gewesen, wenn Ingeborg vorgeschlagen hätte, auch sie einzuladen. Aber glücklicherweise kam Ingeborg diese Idee überhaupt nicht.
    Nicht, dass er sich für seine Eltern schämte, richtig schämte, dennoch war ihm die Vorstellung unangenehm, Helgas Vater würde sehen, wie sie in den von ihm entworfenen Wohnungen lebten. Er malte sich aus, wie Helgas Eltern anerkennend nicken könnten, um Freundlichkeit und Natürlichkeit bemüht, die Modernität der Wohnung hervorheben oder sie als vollkommen selbstverständlich, als nicht weiter beachtenswert, hinnehmen könnten, und Ingeborg sich anstrengen würde, fast beiläufig dieses und jenes Detail erwähnend, in jedem Fall die Aufmerksamkeit der Kortens in die von ihr gewünschten Richtung zu lenken, nämlich angekommen zu sein im neuen Leben als Lübecker Bürger, den Flüchtlingsstatus abgestreift zu haben, Möbel als Indiz für Normalität.
    Nach dem Abendessen saßen sie noch ein wenig beisammen und selbst Christian blieb sitzen. Die Stimmung war an diesem Abend fast freundlich, Fritz Lorenz war aufgeräumt, die Speditionsfirma hatte ihm in Aussicht gestellt, im neuen Jahr Gebietsleiter für das südliche Schleswig-Holstein zu werden. Das schloss auch Außendienst mit ein, Kontakte bis nach Rendsburg knüpfen, im Hamburger Hafen eine Außenstelle vorbereiten, sogar verbunden mit einer kleinen Gehaltserhöhung in Form von Aufwandsentschädigungen und Spesen.
    „Sie wissen eben, was sie an dir haben“, sagte Ingeborg.
    Renate räumte den Tisch ab und setzte sich dann neben Günter auf die Couch. Sie war froh, dass Günter jetzt nicht mehr Überstunden schrieb. Er war am Ende seiner Kräfte, oft gereizt oder einfach zu müde für ihren Redestrom, gespeist aus Histörchen von ihrer Arbeit oder den Planungen für die Zukunft im eigenen Haushalt. Jetzt wollte sie ihn ganz für sich haben und hochpäppeln. Auf dem Bau machte das Gerücht die Runde, dass in den Tarifverhandlungen im nächsten Jahr dafür gekämpft werden sollte, zum Winter nicht mehr entlassen zu werden, sondern ein Wintergeld, das von Unternehmen, Gewerkschaft und Arbeitern aufgebracht würde, die Wintermonate überbrücken sollte.
    „Du bist doch gar nicht organisiert“, sagte Fritz Lorenz, „kriegst du denn auch das Geld?“
    Er hatte sich deswegen schon oft mit Günter gekabbelt. Für ihn war es selbstverständlich, Gewerkschaftler zu sein.
    „Die ziehen dich doch sonst über den Tisch. Freiwillig haben die da oben noch nie Zugeständnisse gemacht. Außerdem profitierst du doch von den Abschlüssen.“
    Nassauern wollte er nicht sagen, aber Günter wusste, dass er genau das meinte.
    „Keine Ahnung, ich geh auf jeden Fall rein“, antwortete Günter, „hatte ich sowieso vor, geht auch gar nicht anders.“
    „Ging doch bis jetzt auch.“ Fritz wollte ihn nicht so einfach entlassen.
    „Hatte ich eigentlich schon lange vor, hatte sich aber nicht ergeben. Und Schorsch Leber gefällt mir. Der tut was für uns.“
    „Mach mal, find ich richtig“, beendete er dann versöhnlich das Thema, „starke Gewerkschaften können nicht schaden.“
    Im Rundfunk sagte die Stimme gerade die Tanzmusik zum Feierabend unter der Leitung von Alfred Hause und Fred Thon an. Als Owen Williams angekündigt wurde, stellte Ingeborg das Radio lauter und summte mit. Christian verdrehte die Augen, während Renate und Günter offensichtlich den Schlager mochten. Fritz Lorenz blieb in seine Zeitung vertieft. Ein vollendetes Bild familiärer Harmonie, jedes Mitglied seiner Rolle treu und selbst unsichere oder fragende, bestätigende oder vorwurfsvolle Blicke, die sonst die Gespräche begleiteten, blieben aus und sogar, als Fritz

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