Anderer Welten Kind (German Edition)
Leiterwagen, einmal organisierte er sich ein Fahrrad, viel mit der Hilfe braver, patriotischer Menschen.
Herbert hatte den letzten Krankentransport nach Westen erwischt und war hoffentlich jetzt in britischer Gefangenschaft. Dahin wollte er auch, als er am Elbufer beim Auskundschaften einer Überfahrt auf eine Patrouille stieß. Kriegsrückkehrer wie er, teilweise mit Wehrmachtsmänteln ohne Rangabzeichen oder dreiviertellangen Lederjoppen bekleidet, weiße oder rote Armbinden, sorgten jetzt für Ordnung und das hieß Jagd auf Nazis. Sie füllten das Machtvakuum aus, das die vor den Russen geflohene Verwaltung hinterlassen hatte, warteten auf die Rote Armee. Auf die Befreiung. Es waren solche wie Franz. Kommunisten und Sozialdemokraten, die den Krieg irgendwie überlebt hatten. Wie Franz, Franz, der Stalinist und Parteibonze.
„Wenn ich den erwische“, hatte Fritz einmal zu Herbert gesagt, „den dreh ich persönlich durch den Fleischwolf.“ Dabei hatte er ausgespuckt.
Er hätte ihn erwischen können, wenn er 1942/43 in Frankreich gewesen und auf den windigen Hochflächen der Cevennen auf den Maquis gestoßen wäre. Dann hätte er eine realistische Chance gehabt. Wenn er in Saint-Étienne im Departement Lozère in eine Schießerei mit der Kühne-Gruppe geraten oder bei La Rivière von den Partisanen in einen Hinterhalt gelockt worden wäre oder auf den Causses Jagd auf die sich hinter Felsen verschanzten Schattenkrieger gemacht hätte. Aber vielleicht wäre er es ja auch gewesen, den Franz erwischt hätte.
Denn dort kämpfte Franz in den internationalen Gruppen der Freischärler der Ehemaligen der Internationalen Brigaden, die 1938 nach der republikanischen Niederlage in den Lagern in Südfrankreich interniert waren, die nach ihrer Flucht aus dem Lager in Rieucros sich direkt zur Resistance durchgeschlagen hatten. Franz, der sich schon nach seiner Trennung von Hermine den Kommunisten angeschlossen hatte und einer der Ersten war, die nach Spanien gegangen waren. Hier in den Tälern des Tarn und des Ardèche legte er im „Komitee freies Deutschland für den Westen“ seinen politischen Grundstein.
Sie zerrten ihn direkt vor seine Füße. Franz hatte das Kommando über die Gruppe inne. Sie sperrten ihn in einen leeren Stall am Stadtrand, der die Bombenangriffe überstanden hatte, und gegen Morgen hatte er ein langes Gespräch mit Franz, in dem er bettelte und winselte und alte Familienbande sabbernd herauszerrte und beschwor. Alles andere! Nur nicht zu den Russen!
Franz ließ ihn ein Papier unterschreiben, schnell hingekritzelt, auf einem Fetzen Papier, dessen Briefkopf mit dem Reichsadler er einfach abgerissen hatte, dass Fritz Lorenz an keinen Erschießungen und Einsätzen gegen die Zivilbevölkerung teilgenommen hatte, und sah fast mitleidig auf Fritzens zitternde Hand, als er schrieb, Ich, Fritz Lorenz, Mitglied der Waffen-SS Nr. L 537 0716 …
In den frühen Morgenstunden setzten sie sich auf eine alte NSU mit Seitenwagen und holperten und ruckelten mit einer schwarzen Abgasfahne bis Wittenberge. Alle halbe Stunde mussten sie anhalten, um, die Arme um sich schlagend, auf der Stelle zu hüpfen und die Kälte aus ihrem Körper zu treiben, die die Finger und Füße zu gefühllosen Klumpen machte. Die Kontrollen umfuhren sie, soweit es die Strecke zuließ, oder Franz zückte Papiere, die ihn auswiesen. Als was und von wem autorisiert, konnte Fritz nicht herausfinden, aber er bemerkte den Respekt und manchmal einen Anflug von Angst, mit denen Franz nach dem Lesen begegnet wurde. Er sah nur, dass die Papiere voller Stempel waren und teilweise in kyrillischen Buchstaben. Er kauerte sich in den Seitenwagen und wagte kaum, die Posten anzuschauen in der Furcht vor Entdeckung. Ihn würdigten sie keines Blickes oder nickten gleichgültig hinüber.
Am Mittag kurz hinter der Stadt sprach Franz mit einem Fährmann, der einen Kahn mit einem Heckruder vorwärtstrieb, der an einem Seil durch die träge dahinfließende Elbe geführt wurde.
„Ende der Fahrt“, sagte er, „drüben sind die Engländer.“ Und dann setzte er mit einem Grinsen und einem Fauststoß an die Schulter nach: „Dann komm mal. Schwein gehabt, dass du auf mich gestoßen bist.“
Und so ergab sich Fritz Lorenz zwei Stunden später einer britischen Patrouille, die Hände schon von Weitem über den Kopf gehoben. Fünf Monate später bezogen sie die Wohnung in Lübeck-Eichholz.
„Später hat mir meine Mutter dann erzählt, dass Tante Hermine dort
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