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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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Vegetation und
dichter Baumbestand. Ich frage mich, wie eine dreiköpfige
Familie dieses irrsinnig große Haus ausfüllen kann. Visible ist
größer, aber dort bewohnen wir nur einen Bruchteil der
Zimmer; in einige von ihnen hat Glass, aus Furcht vor der
Entdeckung möglicher Schäden an den Decken, Wanden oder
irgendwelchen Leitungen, seit Jahren nicht hineingeschaut.
Nicholas öffnet auf mein Klingeln. Mir springt sofort ins
Auge, dass er ein dunkelblaues Hemd trägt. Er trägt sonst nie
Hemden, nur T-Shirts oder Pullis. Vielleicht gelten hier oben
unter den Reichen andere Kleidervorschriften. Er lächelt, macht
einen Schritt vor die Tür und lässt sie hinter sich ins Schloss
fallen. Ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten, faßt er mich
beim Arm und zieht mich hinter sich her.
»Komm mit. Hier entlang.«
Ich stolpere ihm nach. Mattes Gras versprüht Feuchtigkeit
unter meinen Schritten, gestern hat es geregnet. Zwischen Inseln
aus Sträuchern und Blumenbeeten, von denen die meisten zum
Schutz vor dem ersten Frost bereits mit Rindenmulch und
Tannenzweigen abgedeckt sind, geht es über einen sorgfältig
gestutzten, großen Rasen um das Haus herum.
»Wo gehen wir hin?«, frage ich.
»Ich stell dir meine Mutter vor.«
»Und wo ist dein Vater?«
»Im Ausland, geschäftlich.«
»Hat er da öfter zu tun?«
»So oft wie möglich. Und öfter als hier.«
Seine Mutter ist sehr schlank. Ihre Haare sind schwarz, wie
die von Nicholas. Sie trägt ein eng geschnittenes Kleid aus
lindgrünem Stoff und eine Kette aus winzigen silberweißen
Perlen. Ihr Blick ist in sich gekehrt und verhangen. Ihr Mund
öffnet und schließt sich, ohne dass ein Laut zu hören ist. Sie
redet mit sich selbst und geht dabei langsam auf und ab, sechs
Schritte hin, sechs Schritte zurück, auf und ab, hin und zurück.
Nicholas und ich stehen hinter einer Buchsbaumhecke. Ich
starre durch ein riesiges, bis auf den Boden reichendes Fenster
auf dieses unglückliche, mechanische Spielzeug hinter Glas. Ich
will nicht hinsehen, weil der Vorgang mich so peinlich berührt.
Aber ich kann die Augen nicht davon abwenden. »Das ist nicht
ganz die Art von Vorstellung, an die ich gedacht hatte«, flüstere
ich.
Nicholas zuckt gleichgültig die Achseln. »Es ist die Grenze,
bis zu der man sich ihr gefahrlos nähern kann.« Er macht sich
nicht die Mühe, seine Stimme zu senken. »Das gilt auch für
mich.«
»Das klingt sehr grausam.«
Er sieht mich nicht an. Sein Blick hängt wie gebannt an dem
Schauspiel hinter dem Fenster. Er nickt sacht mit dem Kopf, auf
und ab, im Takt der Schritte seiner Mutter.
»Nimmt dein Vater sie nie mit, wenn er ins Ausland reist?«
»Die beiden hassen sich. Eines Tages werden sie sich
gegenseitig umbringen.«
»Würdest du dich dann besser fühlen?«
Jetzt wirft er mir einen Blick von der Seite zu, mit gerunzelter
Stirn. »Du stellst merkwürdige Fragen, Phil. Komm, gehen wir
weiter.«
Wieder stolpere ich ihm nach. Etwas in mir ringt nach Luft.
Ich werde ihn nie fragen können, warum er seine Eltern so
verabscheut. Ich werde nie andere als ausweichende Antworten
von ihm erhalten. Seine Mutter und ich mögen sich auf
verschiedenen Seiten dieses Fensters aufhalten, doch Nicholas
befindet sich für beide von uns hinter Glas.
Über in den Rasen eingelassene Steinplatten umrunden wir
das Haus und passieren mehrere mit schmiedeeisernen Gittern
gesicherte Fenster. Auf einer großzügigen Terrasse stehen
einige Gartenmöbel aus schwerem, wetterfestem Holz. Ein
Vogelbad aus hellem Marmor, in dem der gestrige Regen
Wasser hinterlassen hat, wartet auf Besucher. Hinter der
Terrasse befindet sich ein einstöckiger Anbau – zwei Fenster,
eine Tür -, der früher als eine Art Geräteschuppen gedient haben
könnte. Jetzt wird er von Nicholas bewohnt. Er zieht einen
Schlüssel aus der Hosentasche, schließt auf und tritt beiseite.
»Bitte.«
Ich weiß nicht genau, was ich erwartet habe. Poster und
Fotografien an den Wänden, irgendwelche Wimpel. Oder
Medaillen, Pokale und Abzeichen, aus zahlreichen
Wettkämpfen mit nach Hause gebracht, aufgehängt oder für
jeden sichtbar in Regale gestellt.
Nichts davon.
Ich bin irritiert, weil der Raum sofort ein Gefühl von
Vertrautheit in mir weckt. Die Wände sind weiß, und doch
scheinen sie das Licht nicht zu reflektieren, das durch die
beiden Fenster fällt. Es wirkt, als würde der Raum aus sich
selbst heraus leuchten, gespeist aus einer unsichtbaren Quelle,

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