Andreas Steinhofel
bereits zu schmerzen beginnen und
mich anflehen, nach oben zurückzukehren, finde ich keinen
Grund unter den suchenden Füßen.
GLASS KONNTE DAS LEUCHTEN in meinen Augen
unmöglich verborgen bleiben, als ich, braun gebrannt und mit
weizenblonden Haaren, aus Griechenland zurückkehrte, aber sie
stellte keine direkten Fragen. Ihre Erkundigungen beschränkten
sich darauf, wie ich mit Gable zurechtgekommen war; sie wollte
wissen, wie das Meer aufleuchtete, bevor die Sonne unterging,
ob ich Haie gesehen, ob ich Oliven gegessen hätte. Doch ihren
Mund umspielte dabei ein wissendes Lächeln, ähnlich dem, wie
ich es aus der Zeit kannte, wenn sie nach Terezas Besuchen
scheinheilig hatte wissen wollen, ob Dianne und ich, entgegen
ihrem nie ernst gemeinten Verbot, Popcorn gegessen hatten. Ich
lächelte zurück. Ich hätte mir schon vorher denken sollen, dass
sie die Hand im Spiel und Gable um Mithilfe gebeten hatte. Sie
verstand es wirklich, Geburtstagsgeschenke zu machen.
Dianne war schweigsamer als je zuvor; ich hatte den
Eindruck, dass sie sich während meiner Abwesenheit noch
tiefer in sich selbst zurückgezogen hatte. Die Atmosphäre
zwischen ihr und Glass war gespannt, ihr Umgang miteinander
beinahe frostig, auf Förmlichkeiten beschränkt. Wo sie
aufeinander trafen, schien die Luft sich statisch aufzuladen;
tagelang wartete ich vergebens auf ein reinigendes Gewitter.
Etwas musste während der vergangenen vier Wochen zwischen
den beiden vorgefallen sein, doch was immer es auch war, es
blieb mir verborgen. Glass danach auszufragen war sinnlos,
solange sie nicht von sich aus beschloss, mit mir darüber zu
reden, würde ich nichts in Erfahrung bringen. Von Dianne nahm
ich an, sie würde sich als zugänglicher erweisen, aber ich
täuschte mich.
»Nichts ist passiert«, sagte sie, als ich sie vor ihrem Zimmer
abfing und fragte. »Gar nichts. Wir haben uns gestritten, das ist
alles.«
»Worüber?«
»Das geht dich nichts an, Phil. Das ist eine Sache zwischen
Glass und mir.«
»Nein, es ist auch meine Sache! Schließlich muss ich mit euch
beiden leben. Die Stimmung zwischen euch ist zum Kotzen.«
»Na und?« Sie versuchte, sich an mir vorbei durch die Tür
und in ihr Zimmer zu drücken. »Sie wird sich auch wieder
bessern.«
»Ach ja?« Ihre Arroganz trieb mich auf die Palme. »Weißt du
was, Dianne, du bist schon genau wie Glass, genau das hätte sie
auch…«
Ich konnte der Hand, die unerwartet auf mich zuschoss, kaum
ausweichen. »Sag das nie wieder!«, zischte Dianne mir ins
Gesicht. »Nie wieder, Phil!«
Nichts war wie zuvor. Selbst der flechtenbewachsene Engel,
der den Zugang zum Teich bewachte, war während meiner
Abwesenheit endgültig umgestürzt. Der Arm mit dem Schwert
ragte in einem unglücklichen Winkel aus dem hohen Gras, in
das ein zwei Tage und zwei Nächte wütender Sturm die Statue
geworfen hatte. Von demselben Sturm waren auch unzählige
Ziegel vom Dach Visibles gerissen worden, die jetzt wie
Granatsplitter verstreut in der Landschaft herumlagen. Glass
hatte übergangsweise Blecheimer auf dem Dachboden
aufgestellt. Das Dach neu decken zu lassen, wie sie zunächst
vorhatte, kam wegen der Kosten nicht in Frage. Sie entschied
sich dafür, die Schäden nur ausbessern zu lassen; danach glich
Visibles Dach einem Flickenteppich.
Der Sturm hatte, wie Kat mir bei unserem ersten Treffen nach
meiner Rückkehr aufgeregt berichtete, auch ein Opfer unter den
Kleinen Leuten gefordert. Ein Junge aus dem Jahrgang über
uns, den ich nicht kannte, an dessen Aussehen ich mich nach
Kats Beschreibung aber vage erinnern konnte, war mit dem
Fahrrad auf der Landstraße unterwegs gewesen, von einer
heftigen Böe erfasst und in ein ihm entgegenkommendes Auto
geschleudert worden. Er lag auf der Intensivstation, in derselben
Klinik, in der Kat und ich als Kinder operiert worden waren; es
war nicht sicher, ob er jemals wieder das Bewusstsein erlangen
würde.
Keine dieser Neuigkeiten konnte mich wirklich berühren.
Mein eigenes Erlebnis behielt ich zunächst für mich; ich
erzählte Kat erst davon, nachdem sie im folgenden Winter mit
Thomas angebändelt hatte und meinte, ich müsse mich beeilen,
wenn ich noch vor ihr meine Unschuld verlieren wolle. Sie
wurde wütend, weil ich so lang geschwiegen hatte, bezichtigte
mich des Vertrauensbruchs und lenkte erst wieder ein, nachdem
sie auch die allerletzte Einzelheit aus mir herausgekitzelt hatte.
»Wenn du nicht mal seinen Namen kennst«, stellte
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