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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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das eine Menge
Arbeit erspart.«
Natürlich wäre es in diesem Fall auch notwendig gewesen, die
Haushälterin zum Schweigen zu bringen. Elsie hatte den
Professor verehrt – Tereza nahm an, sie habe ihn sogar heimlich
geliebt, als sei es ein Naturgesetz, dass früher oder später jede
Haushälterin ihr Herz an ihren Arbeitgeber verliert. Doch ganz
gleich, wie es um Elsies Gefühle bestellt war: Niemand, so viel
war sicher, hätte die kleine Frau dazu bewegen können, sich auf
eine Art Witwenverbuddelung einzulassen.
Als eine sehr blasse Tereza am Abend nach dem Abtransport
der Leiche nach Visible kam, um sich mit Glass zu beraten,
wurden Dianne und ich kurzerhand mit Haferflocken abgefüttert
und ins Bett gesteckt. Wir waren zu jung – vier Jahre alt – um
zu begreifen, was vor sich ging. Aber wir waren alt genug um
zu spüren, dass Tereza, obwohl sie sich alle Mühe gab Haltung
zu bewahren, außer sich war vor Kummer. Sie schien ihre
Trauer aus jeder Pore auszuschwitzen; das rote Haar war
glanzlos, die Haut unter ihren Augen war so dunkel, als hätte
Tereza Ringe aus Kohlestaub aufgetragen.
Tereza und Glass redeten bis tief in die Nacht, dabei tranken
sie Rotwein, und der Rauch ungezählter Zigaretten drang in die
letzten dunklen Winkel Visibles. Sie entwickelten Pläne,
erdachten Szenarien, verwarfen diese und jene Idee; schließlich
einigten sie sich auf einen Vorschlag von Glass und gingen zu
Bett. Als ich am Morgen das Schlafzimmer betrat, fand ich die
beiden Frauen, Beine und Arme verschlungen, selbst die Hände
verhakt, so eng und fest aneinander geschmiedet wie
siamesische Zwillinge. Sonnenlicht tastete sich durch die
Fenster und ließ Terezas langes Haar, das wie ein ausgebreiteter
Fächer die bleiche Haut meiner Mutter bedeckte, in leuchtende,
orangerote Flammen aufgehen. Tereza musste gehört haben,
wie ich das Zimmer betrat, denn sie öffnete die Augen und sah
mich lange an. Ihr Blick war erfüllt von dem einzigen Schmerz,
der sich mir mit meinen vier Jahren mitteilen konnte – einem
kindlichen Schmerz, der weder Anfang noch Ende kannte und
der mir so tief ins Herz schnitt, dass ich auf dem Absatz
kehrtmachte und nach unten in die Küche rannte, wo ich mit
zitternden Händen versuchte, den Tisch zu decken.
Nach dem Frühstück – Obstsaft, viel Kaffee und noch mehr
Mineralwasser, um den Kater zu vertreiben – verabschiedete
sich Tereza, um ihren Hausarzt zu konsultieren, der ihr ohne
Bedenken ein Rezept über ein starkes, schnell wirkendes
Schlafmittel ausstellte. Zwei Stunden später war sie zurück in
Visible, und wir fuhren alle mit dem Wagen zum Supermarkt,
wo als Erstes Dianne und ich mit Gummibärchen aus der
Jumbotüte ruhig gestellt wurden. Während wir uns, einem
ängstlichen Hamstertrieb folgend, zunächst vorsorglich die
Hosentaschen und erst dann die Hälse voll stopften, kauften
Tereza und Glass eine Spitzhacke, zwei Schaufeln und drei
Säcke Kartoffeln, den Sack zu fünfundzwanzig Kilogramm.
Dann marschierten wir im Gänsemarsch in die Abteilung für
Damenunterwäsche. Hier hielt Tereza sich vorsichtig abseits.
Die Kleinen Leute wussten, dass ihr Vater gestorben war, und
sie wollte keine neugierigen, befremdeten Blicke auf sich
ziehen. Dianne und ich hielten uns an den von Süßigkeiten
verklebten Händen und sahen dabei zu, wie Glass sich mit
kritischen Blicken durch eine Auswahl spitzenbesetzter weißer
Unterwäsche wühlte.
»Ich stand in Terezas Schuld«, begründete Glass uns
gegenüber an jenem Abend auf der Veranda ihren Entschluss.
»Ich meine, natürlich war es mit Abstand das größte Opfer, das
ich je für jemanden zu bringen bereit war, aber schließlich, wo
wären wir alle ohne Tereza?«
Sie trug lediglich die weiße Spitzenunterwäsche, verborgen
unter ihrem bis zu den Knien reichenden schäbigen Mantel, mit
dem sie aus Amerika gekommen war, als sie am späten Abend
vor dem Bestattungsinstitut stand und den dicken und – was
ungleich wichtiger war – unverheirateten H. Hendriks
herausklingelte. Tereza hatte den Wagen an der nächsten
Straßenecke geparkt, und wir konnten Glass sehen, die sich
gegen den die Straße herunterpfeifenden Wind stemmte, und
wie Hendriks ihr öffnete. Der Mantel flatterte wie das zerrissene
Segel eines kleinen, gestrandeten Schiffes. Es versprach, in
mehrfacher Hinsicht, eine stürmische Nacht zu werden.
»Was macht Glass da?«, fragte Dianne.
»Sie besucht den dicken Mann«, sagte

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