Andreas Steinhofel
verschriebene
Schlafmittel in seinen Drink. Sie wusste nicht, ob das Pulver
den Geschmack des Wodkas veränderte, und H. Hendriks
beraubte sich selbst jeder Chance, das herauszufinden. Kaum
dass er aus der Küche zurückgekommen war und sich in
plumper Vertraulichkeit neben Glass gesetzt hatte, kippte er,
aufgeregt wie er war, seinen Wodka in einem einzigen kräftigen
Zug hinunter. Das Pulver begann zu Glass’ großer Erleichterung
schon zu wirken, bevor H. Hendriks Gelegenheit hatte, sich auf
der Couch oder sonst wo auf ihr auszutoben, und es wirkte mit
einer so plötzlichen Wucht, dass es den dicken Mann förmlich
in die Sofakissen riss.
Glass atmete tief durch, prostete erleichtert in Richtung des
Kachelraums, wo im linken oder rechten Sarg der Professor
ruhte, und stürzte ihr erstes Glas Wodka für diesen Abend
hinunter.
Tereza hatte derweil draußen im Auto geduldig darauf
gewartet, dass Dianne und ich irgendwann vor lauter
Langeweile einschlafen würden. Was wir nicht taten – es lag in
der Luft, dass große Dinge geschehen würden, mindestens so
groß wie die inzwischen zweite Jumbotüte mit Gummibärchen,
die halb geleert zwischen uns auf dem Rücksitz lag. Regen fiel
auf das Wagendach, und von Zeit zu Zeit mischte sich in das
monotone Tröpfeln das leise, motorische Summen des
Scheibenwischers.
»Dann los«, flüsterte Tereza, als die Haustür endlich geöffnet
wurde und Glass uns zuwinkte. Als wir an ihr vorbei durch den
Eingang des Bestattungsinstituts glitten, bemerkte ich
Gänsehaut auf den nackten Beinen meine Mutter. In einer Hand
hielt Glass ihren zweiten Wodka.
Kaum war die Tür hinter uns ins Schloss gefallen, ergriff
Tereza sie bei den Schultern und sah ihr forschend in die
Augen. »Und, hast du…?«
»Nein.«
Mit einer Geste voller Zärtlichkeit strich Tereza ihr eine
Haarsträhne aus dem Gesicht und küsste sie sanft auf die
Wange. »Trotzdem, danke.«
»Anytime«, grinste Glass.
Später bildete ich mir ein, ein Flüstern und Wispern habe uns
in dem Bestattungsinstitut empfangen, ferne Echos des
Jammerns und Klagens, die über Jahre und Jahre hinweg in die
dezent dunkle Auslegeware versickert waren. In der Nähe des
Todes regierte die Lautlosigkeit. Nur bei genauem Hinhören
bemerkte man ein störendes, sich wiederholendes pfeifendes
Geräusch.
»Was ist das?«, fragte Dianne.
»Das ist der dicke Mann«, sagte Tereza. »Er schläft.«
»Wenn er schläft, kann er nicht mehr auf deinen Papa
aufpassen.«
»Dafür sind wir ja jetzt hier, Schätzchen. Glass, gehst du
vor?«
Wir bewegten uns durch Zwielicht. Sichtbare Lichtquellen
schien es in diesem Haus nicht zu geben. Das Licht war einfach
da, es kam von überall und nirgends, und es war weder hell
noch schummrig; es war einfach das lichtloseste Licht, das ich
je gesehen hatte. Kurz darauf standen wir alle vier in dem
Kachelraum – und hier herrschte Licht, schrecklich kaltes Licht,
Neonlicht, das fahl von der Decke strahlte – und betrachteten
andächtig die beiden schimmernd polierten Eichensärge.
»Da sind keine richtigen Nägel drin, sondern nur so eine Art
Steckschrauben«, erklärte Glass der plötzlich sehr still
gewordenen Tereza. »Du kannst sie einfach aus dem Holz
drehen. Flutscht wie Butter.«
»Welcher ist es?«, fragte Tereza nüchtern.
»Der linke. Glaube ich.«
»Glass!«
»Okay, okay, dann weiß ich es eben! Es ist der linke.«
Die Schrauben flutschten nicht. Das Geräusch, das sie beim
Losdrehen von sich gaben, setzte der Todesstille ein abruptes
Ende. Es erfüllte unsere Ohren wie das Knattern eines
Maschinengewehrs, seine nervtötenden Echos kullerten wie
Donnerhall durch den Kachelraum. Endlich wurde der Deckel
vom Sarg entfernt.
»Halbe Arbeit für vollen Lohn«, sagte Tereza nach einem
prüfenden Blick in das Innere. »Ich sollte dieses Schwein
verklagen.« Ihr Gesicht zeigte nicht die geringste Regung. Nur
aus ihrer Stimme sprach Empörung. Dianne und ich reckten
neugierig die Hälse, waren aber zu klein, um über den Sargrand
hinweg sehen zu können, was Tereza so erboste.
»Vergiss es«, sagte Glass. »Komm jetzt.«
Als die beiden Frauen den Raum verlassen hatten – Tereza,
um den Wagen in den nicht einsehbaren Hinterhof des Instituts
zu fahren, und Glass, um den Ausgang vom Haus auf diesen
Hof zu finden -, schoben Dianne und ich einen Schemel vor den
Sarg. Wir kletterten hinauf und traten uns gegenseitig auf die
Füße, während wir neugierig die Leiche
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