Andreas Steinhofel
empor, an den breiten Sprüngen und Rissen, den
aufdringlichen Flecken im Putz, die der noch immer grüne,
wuchernde Efeu kaum zu bedecken vermag.
»Also, was glaubst du?«, sage ich. »Wann werden die Mauern
über uns zusammenbrechen?«
»Gar nicht«, erwidert Nicholas leise. »Solche Häuser sind für
die Ewigkeit gebaut. Es ist wunderschön, Phil!«
Fünf Minuten später sitzen wir am Küchentisch, unter dem
gleichmütigen Blick Rosellas, während Glass wie eine
Preiskämpferin mit ein paar Teebeuteln ringt, die sich weigern,
ihre Verpackung zu verlassen. Sie hat sich umgezogen, trägt
einen Jogginganzug, der aus der hintersten Ecke des
Kostümfundus einer billigen Unterhaltungsserie stammen
könnte, und hat die Haare hochgesteckt wie eine Geisha. Etwas
nachlässiger vielleicht. Ich bin aufgeregt und weiß nicht,
warum. Es sollte mir gleichgültig sein, welchen Eindruck Glass
auf Nicholas hinterlässt. Genauso kalt lassen sollte mich, wie
ihr Urteil über Nicholas ausfallen wird – von Michael
abgesehen hat sie mich schließlich, was ihre Männer angeht,
auch nie um meine Meinung gefragt.
»Wie gefällt dir Visible, Nick?« Glass hat die Teebeutel
endlich erfolgreich in der Kanne versenkt und sich zu uns an
den Tisch gesetzt.
»Großartig«, sagt Nicholas. »Ich würde es dir sofort abkaufen.
Der Garten muss im Sommer phantastisch sein.«
»Den Garten hab ich längst aufgegeben. Überall Unkraut, und
es kriechen jede Menge Viecher darin herum.« Glass zieht die
Nase kraus. »Hat Phil dir von der Sache mit der Schlange
erzählt?«
»Mum, bitte, ich -«
»Kein Mum, und nichts bitte.«
Der Teekessel pfeift. Glass geht an den Herd. Nicholas grinst
mich über den Küchentisch hinweg an. Ich feixe und mache
eine hilflose Geste. Es ist mir teuflisch unangenehm, dass Glass
ihm diese alte Kindergeschichte auftischen will. Ich weiß schon
jetzt, dass sie dabei maßlos übertreiben wird. Sie kann nicht
anders.
»Ich war im Garten zugange, Unkraut jäten und all das. Phil
und Dianne waren dabei«, beginnt sie, während sie das heiße
Wasser in die Teekanne füllt. »Sie waren noch ganz klein und
rannten mir um die Beine herum, mit ihren kleinen Schippen
und Häckchen und Eimern aus Plastik. Man wusste wirklich
nicht, wo man mit der Arbeit anfangen sollte in diesem
Dschungel, überall waren abgebrochene Äste und Gestrüpp im
Weg.«
Ich denke nicht gern an diesen Tag zurück. Es war zu der Zeit
gewesen, als Glass versucht hatte, Visibles Garten der Wildnis
abzuringen; jenes vergebliche Bemühen, das mit der Einstellung
Martins geendet hatte – Martin von den Handtüchern, Martin
mit dem nie erloschenden Lachen, Martin mit dem Geruch von
Sommer und Gartenerde.
»Da lag dann also«, fährt Glass fort und setzt sich wieder an
den Tisch, »dieser Baumstamm, eigentlich nur ein Stück eines
Baumstammes. Vielleicht sollte er vor urewigen Zeiten zu
Brennholz zerschlagen werden und wurde dort vergessen, keine
Ahnung. Und ich denke, den schaffst du, so schwer kann das
nicht sein, und wälze ihn um, ich wollte ihn von der Wiese
schubbeln.«
Nicholas nickt.
»Und da lag die Schlange drunter, ganz zusammengeringelt.
Sie war schwarz und hatte diese helle Längszeichnung auf dem
Rücken, eine, was war das noch mal, Darling?«
»Eine Kreuzotter.«
»Genau. Kreuzotter. Und plötzlich«, ich zucke zusammen, als
Glass unvermittelt die Hände in die Höhe reißt, »war sie nicht
mehr zusammengeringelt, plötzlich war sie ein zuckendes Seil
im Gras! Und sie zischte und ich schrie -«
»Sie hat nur gezüngelt, Mum.«
Die Arme sinken herab, mein Einwurf wird mit einem
einzigen Schütteln der Handgelenke beiseite gefegt. Glass
beginnt, den Tee auszuschenken. »Und dann kommt sie auf
mich zugeschossen, zisch, zisch, und ich sage dir, Nick, dieses
Vieh war riesig!«
»Glass!«
»Riesig!«
Ich spürte schon damals, dass die Schlange – eine eher
schwächliche Verwandte wirklich giftiger amerikanischer
Vipern, deren Biss, wie ich später herausfand, niemals tödlich
ist, es sei denn, man hat ein schwaches Herz oder einen labilen
Kreislauf -, dass also diese Kreuzotter viel mehr Angst vor uns
gehabt haben musste, als Glass, Dianne oder ich vor ihr hatten.
Sie folgte nur ihrer Natur, als sie mit aufgeklappten Kiefern ihre
Verteidigungsbereitschaft signalisierte, und hatte sich
wahrscheinlich sofort aus dem Staub gemacht, wenn wir sie nur
in Frieden gelassen hätten. Außerdem hatte Glass
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