Andromeda
Angst.
Wie kann man unter dem Ding da atmen? dachte ich. Das ist doch ganz und gar unvorstellbar. Sollte es wirklich, neben anderem, auch Sauerstoff ausströmen, wie es auf normalen Planeten die Pflanzen tun?
Dann hatte ich das Gefühl, als würde ich von tausend kleinen, flinken Fingern gleichzeitig betastet und untersucht. Das drang mir unter die Toga, glitt meinen Körper auf und ab, das zwängte sich in meine Ohrmuscheln hinein, in meine Nasenlöcher, versuchte sich zwischen meinen fest geschlossenen Lippen hindurchzupressen und unter die Augenlider zu gleiten. Nur eine Sekunde dauerte das. Dann ließen die Taster von mir ab, und das Etwas glitt weiter über mich hin. Ich lag, atmete und war starr vor Verwirrung und Grauen. Wies dieses stinkende Zeug da über mir etwa Spuren von Intelligenz auf?
Endlich sah ich die Sterne wieder und die Planeten. Der Spuk war vorbei. Fern und immer ferner zog er dahin und verschwand schließlich in der Nacht. Ein letztes Heulen klang zu mir her, und alles war vorbei.
Noch nicht alles. Ich setzte mich, halb betäubt noch, auf und griff mechanisch in die Tasche meiner Toga. Mein Messer war weg! Das heißt, zwei lose Holzschalen fand ich noch vor. Sie bildeten ehemals den Griff und waren mit Spezialstahlnieten zusammengehalten worden. Die Nieten waren verschwunden und die Messerklinge selber auch. Ich faßte aufgeregt in die andere Tasche, in der ich die herausgetrennten Reißverschlüsse meiner Landekombination verwahrt hatte, und auch diese waren fort. Das Etwas fraß Metall! Es hatte mich durchsucht und Messer sowie Reißverschlüsse gefunden und verschlungen.
Ich blieb sitzen, wo ich saß, und versuchte, mich zu fassen. Die Konsequenzen dieses Vorganges waren unabsehbar. Wenn dieses Etwas so wild und frei auf dem Planeten herumstreifte, dann hatte sich hier nie eine normale Kultur entwickeln können. Keine jedenfalls, deren Technik sich der Metalle bediente. Was war dieses Etwas überhaupt? Ich mußte ihm endlich einen Namen geben, und sei es auch bloß zur Selbstverständigung. Die GROSSE AMÖBE nannte ich es kurz entschlossen. Das schien mir gut zu passen. Die GROSSE AMÖBE nährte sich also von Metall! Sie hatte die drei metallenen Zuckerhüte der Tantaliden verschlungen, ebenso die Metallfetzen, die auf der Straße gelegen hatten, und nun war eindeutig klar, weshalb jener merkwürdige metallene Rundbau außerhalb der Stadt von einem Feld geschützt wurde. Das Feld würde die GROSSE AMÖBE nicht durchdringen können.
Wieder fragte ich mich, warum dieses Schleimzeug überhaupt existierte. Die Tantaliden hätten es mühelos beseitigen können. Doch wie es aussah, beschränkten sie sich lediglich darauf, das, was ihnen wirklich wichtig war – wie eben jener Rundbau – zu schützen und im übrigen alles gehen zu lassen, wie es eben ging.
Eine leise Ahnung begann mir zu dämmern. Vielleicht gehörte die GROSSE AMÖBE zu den Tantaliden, wie auch die Zuckerhüte zu ihnen gehört hatten, die verlassenen Häuser und das feldgeschützte Gebäude. Vielleicht hatten sie die GROSSE AMÖBE aufgegeben, so wie sie die Siedlungen aufgegeben hatten. Die Siedlungen verfielen, und die GROSSE AMÖBE verfiel auch, wenngleich sich ihr Verfall auf wesentlich andere Art äußerte als der der Häuser. Was blieb, war wieder einmal nur die Frage: Warum?
Danach hatte ich es nicht mehr so eilig, den Bergstumpf zu erklimmen. Ich ahnte nichts Gutes und hatte eigentlich auch gar keine Zuversicht mehr. Es war, als hätte mir der Verlust meines Messers den letzten Halt geraubt. In ähnlicher Stimmung war ich vorher nur einmal gewesen – ganz zum Schluß auf Tantalus, als ich dort gesessen hatte im Turm und nur auf das Ende wartete. Worauf wartete ich hier? Ich war nahe daran, alles aufzugeben und gleichgültig zurückzutrotten in meine Wohnung.
Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Da saß ich, verbannt in die Unendlichkeit, eigentlich ohne jede Aussicht auf Erfolg. Überleben nur oder gar Rückkehr zur Erde, und ich dachte immer noch in Kategorien, die eigentlich eine heile, intakte Welt oder doch zumindest die kommunikative Verbindung zu ihr voraussetzten. Ich konnte nur staunen über mich. Vielleicht war dies das Geheimnis, daß der Mensch nicht untergegangen war in all den tausend Gefahren, die er sich selber bereitet mit seinen Kriegen in seiner frühen Vergangenheit und der atomaren Herausforderung um die Wende des vergangenen Jahrtausends, auch nicht gescheitert war an der Herausforderung,
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