Andular (Noirils Verrat) (German Edition)
Höflichkeit schien sich nun vollständig verflüchtigt zu haben. „Mein Vater wird mir die Hölle heißmachen, wenn er erfährt, dass ich euch den Esel ohne ausgleichende Bezahlung überlassen habe! Wenn ihr nicht fähig seid, eure Schulden zu begleichen, sehe ich mich leider gezwungen, euch den Wachen zu melden!“
„Was wollt ihr der Wache melden, mein Junge?“, rief ihm die Wache zu, die zurückgekommen war, da ihr die Warterei auf den Durandi zu lange gedauert hatte.
„Dieser Durandi kann seine Schulden bei mir nicht bezahlen, will aber trotzdem seinen Esel wiederhaben!“
„Seinen…Esel?“ Die Wache sah Jesta scharf von der Seite an, der den Blick sogleich mit einem verlegenen Lächeln erwiderte.
„Ja! Dieses Tier hier hat er mir vor zwei Tagen gebracht und mir dafür zwanzig Dukaten gegeben und mir zwanzig weitere versprochen, wenn er ihn abholt. Natürlich waren diese zwanzig Dukaten nur als Bonus gedacht, aber das Tier frisst so viel, dass ich die versprochene Summe brauche, um seinen extremen Bedarf auszugleichen.“
„Ich täte General Crydeol sicher einen Gefallen, wenn ich eure Schulden bei dem Jungen nicht begleiche und ihm stattdessen erlauben würde das Tier zu verkaufen. Aber da ich mir weitere Auseinandersetzungen mit euch ersparen möchte, die mich zudem nur Nerven kosten würden, werde ich eure Schulden begleichen. Auch möchte ich des Generals Gesicht sehen, wenn ihr ihm erklären werdet, dass ihr vorhabt, auf dem Rücken dieses Esels die weitere Reise zu bestreiten“, sagte die Wache, an deren Tonfall Jesta nur allzu deutlich den Anflug von Schadenfreude heraushören konnte.
„Zudem aber werdet ihr dem Jungen bei eurer Rückkehr eine zusätzliche und großzügige Entschädigungssumme zukommen lassen, deren Übergabe ich mich selbst vergewissern werde!“
„Doppelt und dreifach, wenn es sein muss!“, rief Jesta, der nur froh war, seinen geliebten Esel endlich wieder in Besitz nehmen zu können.
„Dann nehmt ihn eben wieder. Das Vieh hat mir sowieso nur Ärger eingebracht und hören tut er auch nicht!“, rief ihm der Junge zu, während er sich bei der Wache die fehlenden Dukaten abholte. Doch Jesta hörte ihm schon gar nicht mehr zu und schwang sich, unbeholfen wie immer, auf Nevurs Rücken. Die Wache nahm daraufhin das für Jesta gedachte Pferd an den Zügeln und führte es neben dem seinen her, während sie gemeinsam durch das Stadttor ritten.
Im Osten war die Sonne bereits aufgegangen und tauchte den Himmel über ihnen in ein atemberaubendes Rot. Jesta drehte sich noch einmal um und sah die zwei Klingentürme hinter sich in ihrer vollen Pracht. Das Licht der Sonne ließ sie nun noch imposanter erscheinen und er konnte sich nur schwer wieder von diesem Anblick lösen, als sein Begleiter ihn ansprach:
„Bis zu Bockelmanns Mühle ist es nicht weit, aber wir sollten uns sputen, um General Crydeol nicht unnötig zu verärgern.“
So ritten sie weiter in Richtung Westen. Nachdem sie die weiten Felder Vaskanias verlassen hatten, kamen sie in eine hügelige Landschaft mit saftigen, grünen Wiesen und Jesta hatte Mühe, seinen Esel davon abzuhalten, auf ihnen zu verweilen.
„Da vorne liegt die Mühle. Die Tiere können dort grasen, während wir uns mit Crydeol unterhalten, denn so, wie es aussieht, kann euer Esel dem Anblick der Wiese nicht mehr lange widerstehen“, rief die Wache und lachte beim Anblick von Nevurs Ausbruchversuchen laut auf.
„Das wäre schön. Nevur ist wirklich ein gutes Tier, aber wenn er Hunger hat, fällt es sogar mir schwer ihn zu bändigen. Er ist halt sehr verfressen“, fügte Jesta hinzu, der seinen Esel kaum noch auf der Straße halten konnte.
Hinter dem letzten Hügel, der vor ihnen lag, sah Jesta bereits die Spitze der Windmühle. Doch ihr Rad stand still, und als sie näher kamen, musste er feststellen, dass sie wohl schon seit Längerem nicht mehr in Betrieb genommen wurde. Ihre kleinen Fenster waren stark beschmutzt und an einigen Stellen war das Glas vollends zerbrochen. Auch an der Eingangstür waren Kratzer und Löcher zu erkennen und ein Schloss war gar nicht erst vorhanden. Jesta fand die Mühle bereits am Tage wenig einladend und war froh, dass sie sich nicht am Abend, im fahlen Licht des Mondes, an diesem Ort treffen mussten. Eine Scheune, die sich in keinem besseren Zustand befand als die Mühle, stand hinter einigen grob übereinandergestapelten Heuballen. Doch von Crydeol war weit und breit nichts zu sehen. Die zwei
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