Anemonen im Wind - Roman
wusste, dass sie ihre Ruhe bewahren musste – trotz allem, was ihre Mutter ihr da erzählte. »Charlie liebt mich«, beharrte sie. »Und selbst wenn …«
Alicia hatte genug. »Du klingst nicht eben überzeugt«, fuhr sie ihre Tochter an. »Charlie ist habgierig. Er hat Warratah gesehen, hat dich gesehen und auch, wie du dich nach Joe gesehnt hast. Joe ist nicht mehr da, und nichts steht ihm im Weg. Er braucht dich nur zu heiraten und bekommt alles. Dieses Kind hat er absichtlich gezeugt, Ellie. Ich würde wetten, dass er es geplant hat, als er Warratah zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hat.«
Ellies Augen füllten sich mit Tränen. »Es ist grausam, so etwas zu sagen«, entgegnete sie. »Er würde nicht … er könnte niemals …« Sie schwieg. Misstrauen stieg in ihr auf, und die Wahrheit begann ihr zu dämmern. Sie fühlte sich kalt, benutzt und schmutzig – nicht nur durch das, was an jenem Tag geschehen war, sondern auch, weil sie sich so leicht hatte täuschen lassen. Wie naiv sie doch gewesen war! Charlies Groll gegen seinen Bruder reichte viel tiefer, als sie sich je hätte träumen lassen. Seine angebliche Liebe zu ihr war nichts als ein Mittel zum Zweck. Er würde die Folgen jenes Tages als endgültigen Sieg über seinen Zwillingsbruder betrachten – als einen Sieg, der nie mehr in Frage gestellt werden könnte. Sie schaute ihre Mutter an, und die Worte, die sie gern sagen wollte, lagen wie Asche in ihremMund. »Es ist zu spät«, sagte sie ausdruckslos. »Die Hochzeit ist arrangiert, das Baby eine Tatsache. Ich habe keine Wahl.«
»Ich wünschte bei Gott, Jack würde nach Hause kommen«, sagte Alicia erbost. »Hier steckt sehr viel mehr dahinter.« Sie atmete tief durch. »Jack würde der Sache bald auf den Grund kommen, wenn er Gelegenheit hätte, von Mann zu Mann mit Charlie zu reden. Ich weiß nicht, was er in Darwin treibt, aber er ist längst überfällig, und wenn er anruft, erzählt er Aurelia nichts.«
»Das alles geht dich und Jack nichts an – nicht einmal Aurelia«, sagte Ellie entschlossen. »Lass die Sache ruhen, Mum.«
Alicia musterte ihre Tochter scharf. Ellies Gesicht war ausdruckslos. »Wenn du nicht mit mir reden willst, dann rede mit Aurelia«, sagte Alicia verdrossen. »Du kannst das nicht tun.« Sie stieß die Hände in die Taschen ihrer Moleskins und marschierte davon, und jeder Schritt ließ ihre Enttäuschung erkennen.
»Ich sah sie davongehen und wünschte mir, ich hätte den Mut gehabt, mich ihr anzuvertrauen. Ich wusste, dass diese Ehe eine Farce sein würde.« Ellie schaute auf ihre Hände, die gefaltet im Schoß lagen. »Aber so, wie die Dinge damals lagen, stand die Zukunft des Kindes auf dem Spiel. Es würde sein Leben lang einen Makel mit sich herumtragen, und ich hatte nicht das Recht, ihm einen Namen und damit die Achtbarkeit zu verwehren.« Sie schaute Claire an. »Ich musste dafür bezahlen, dass ich gegen die Regeln verstoßen hatte.«
»Aber du hast gesagt, Charlie hat dich geliebt«, sagte Claire. »Sicher, selbst wenn …«
»Du hast gehört, wie er war. Habgierig, eifersüchtig, besitzergreifend«, fauchte sie, ohne nachzudenken. Dann biss sie sich auf die Lippe und rang angestrengt um Ruhe. »Wir hatten einander einmal nah gestanden«, sagte sie dann. »Aber ich konnteihn nicht so lieben, wie er es wollte. Nicht nach dem, was er getan hatte.«
»Ich war also nur eine Schachfigur?«, fragte Claire in die Stille hinein.
»Niemand hat je erfahren, was wirklich in Charlies Kopf vorging«, sagte Aurelia vorsichtig. »Aber in den Augen deiner Mutter bist du nie eine Spielfigur gewesen. Sie hat dich immer gewollt, immer geliebt.«
»Sie hat mich mein ganzes verdammtes Leben lang belogen«, fauchte Claire. »Mein Dad ist nicht mein Dad. Meine Schwester ist nicht meine richtige Schwester, und meine Mutter …« Sie funkelte Ellie an. »Meine Mutter ist eine Lügnerin.«
»Das reicht«, herrschte Aurelia sie an. »So wirst du nicht über deine Mutter reden, ganz gleich, wie verletzt du bist. Du musst dir anhören, was wir dir zu erzählen haben, Claire.«
»Warum sollte ich das tun?«, gab sie zurück und stand auf. »Ich bin überrascht, dass ihr mir all die Jahre hindurch einen Platz im Hause gegeben habt. Offenbar hast du meinen Vater gehasst – aber was hat er denn so Unrechtes getan?« Sie schaute zwischen Aurelia und Ellie hin und her. »Er und Mum haben sich nach einer Hochzeitsfeier hinreißen lassen. Sie hat es bereut. Aber
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