Anemonen im Wind - Roman
Wirkung auf die Menschen«, begann sie. »Ich vermisste Joe schrecklich, und ich wusste, dass Alicia nicht mehr bleiben würde, wenn Aurelia aus den Flitterwochen zurückkäme. Ich war überrascht, wie traurig mich das machte. Wir hatten im Laufe der Kriegsjahre eine schöne Freundschaft begründet, und sie würde mir fehlen.«
Ellie wählte die Worte sorgfältig, als sie weiter erzählte. Aber die Bilder, die sich nach und nach in ihrem Kopf entfalteten, brachten ihr so viel Schmerz, dass sie über die Worte stolperte. »Vermutlich war ich an jenem Tag leicht beschwipst und ein bisschen weinerlich, und als Charlie vorschlug, den Empfang zu verlassen und an der Lagune ein bisschen Ruhe zu suchen, ging ich nur zu gern mit.«
Sie schwieg. Die Erinnerungen kehrten zurück, und die Bilder des Tages standen ihr wie klare Schnappschüsse vor Augen, als wäre das alles erst vor wenigen Stunden passiert. Charliehatte zu viel Bier getrunken und war ein bisschen wacklig auf den Beinen, und als sie ihm erzählte, dass sie um Joe trauerte, sah sie etwas Dunkles in seinem Blick schimmern – aber es war so flüchtig gewesen, dass sie keine Zeit hatte, es zu analysieren, und als er ihr den Arm um die Taille gelegt und sie an sich gedrückt hatte, war sie sicher, dass sie sich geirrt hatte. Charlie betrauerte den Verlust ebenso wie sie, und es war ein Trost für sie beide, dass sie einander hatten.
»Charlie kehrte ins Hotel zurück und holte eine Flasche Champagner, und dann fuhr ich uns beide zur Five Mile Lagoon hinaus. Wir redeten nicht viel, aber das brauchten wir auch nicht. Wir waren einander in den vergangenen paar Jahren sehr nahe gekommen, und ich war dankbar für seine Freundschaft und seine Unterstützung.«
Ellie erinnerte sich, wie sie geparkt und eine Wolldecke hinten aus dem Wagen gezogen hatte, bevor sie zu einer grasbewachsenen Stelle in einigem Abstand vom Wasser gegangen waren. Hier gab es Süßwasser-Krokodile, und es war klüger, im offenen Gelände zu bleiben und nicht zum Wasser hinunterzugehen, wo die urzeitlichen Reptilien lauerten. »Wir tranken den Champagner und redeten über die Zukunft, wie es gute Freunde tun. Es war nichts anderes zwischen uns.«
Claire bohrte die Hände in die Taschen, wandte Ellie den Rücken zu und starrte ins Feuer. Ihr Ton war scharf, und alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. »Worauf läuft das alles hinaus?«, wollte sie wissen.
Ellie starrte sie an und konnte nicht antworten. Sie hatte schon zu viel gesagt. Hatte das eine Detail verraten, das ihrer Geschichte einen Anschein von Würde hätte bewahren können.
Aurelia merkte, dass Ellie mit ihrem Latein am Ende war. Leanne war sichtlich verwirrt und erbost, Claire voller Misstrauen. Aurelia war nicht überrascht, als Ellie verstummte; sie konnte ihrnicht verdenken, dass sie der Wahrheit aus dem Weg gehen wollte. Aber die Dinge waren jetzt so weit gediehen, dass alles erzählt werden musste – und nach Ellies Ausrutscher wusste sie, dass die Folgen hart sein würden.
»Als ich nach sechs Wochen aus den Flitterwochen zurückkam, fand ich Alicia äußerst rastlos vor. Sie hatte genug von Kühen und Pferden, genug von Hitze, Staub und Fliegen. Sie musste heim nach England.« Aurelia sah die beiden Mädchen an und ließ sich von ihren wütenden Blicken nicht einschüchtern. Sie würde diese Geschichte auf ihre Art erzählen – sonst würde sie durcheinander kommen und alles vermasseln.
»Die arme Alicia! Das Schicksal war anscheinend entschlossen, sie hier festzuhalten, und obwohl sie ihr Bestes tat, um es zu verbergen, sah ich gleich, dass etwas nicht stimmte.«
»Was ist los mit dem Mädchen?«, fragte Aurelia. Ellie war schweigend in die Küche geschlichen gekommen, hatte in ihrem Frühstück herumgestochert und war wortlos wieder verschwunden.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Alicia. Ich habe versucht, mit ihr zu reden. Auch mit Charlie, aber ich kriege kein vernünftiges Wort aus den beiden heraus.« Sie zündete sich eine Zigarette an – die dritte an diesem Morgen, sah Aurelia, obwohl es erst sieben Uhr war. »Irgendetwas geht zwischen den beiden vor, aber sie wollen nicht mit mir reden.«
Aurelia musterte sie scharf. »Was vermutest du?«
Alicia schaute weg. »Ellie kam allein von deiner Hochzeitsfeier zurück und schloss sich in ihr Zimmer ein. Tagelang wollte sie weder mit mir noch mit Wang Lee sprechen. Dann kam sie wieder heraus, als wäre nichts geschehen; sie weigerte sich, uns
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