Anemonen im Wind - Roman
doch, wie ich auf dem Wind reite!«
Der Staub kam als Erstes. Er nahm ihm die Luft und die Sicht, wirbelte und stieß ihn umher, bis er kaum noch stehen konnte. Er schloss die Augen, wandte die Handflächen zum Himmel, und der Wind stieß auf ihn herab und riss ihn in den Strudel seiner Wut. Endlich war er frei. Flog wie die großen Adler, hoch schwebend über dem Land, das er liebte – und mit einem Blick aus prachtvoll goldenen Augen wusste er, dass er nie wieder an die Erde gefesselt sein würde.
ACHTZEHN
M it einem langen, bebenden Seufzer stand Claire auf. »Ich muss allein sein«, flüsterte sie. Sie ging hinaus in die Diele, stieß die Fliegentür auf und trat auf die Veranda. Die Morgendämmerung vertrieb die Schatten auf dem Hof und brachte Licht und Wärme nach Jarrah. Aber die Schatten in ihrem Innern blieben, unerbittlich und erschreckend. Der Duft von Blumen und taufeuchtem Gras war wie ein Hohn.
Ihre Gefühle waren in Aufruhr, aber ihre Füße schienen zu wissen, wohin sie gehen musste. Ohne zu merken, dass sie ihre Schuhe zurückgelassen hatte, taumelte Claire um das Haus herum und watete durch das hohe Gras. Der Lattenzaun war immer noch nicht repariert. Noch immer bedeckten wilde Blumen und Efeu das einsame Grab in der Ecke.
CHARLIE PEARSON
1918 – 1946
ER SCHWEBTE AUF DEN FITTICHEN
DES WINDES
Psalm 18
Sie kniete vor dem Grabstein nieder und fragte sich, ob sie Ähnlichkeit mit ihrem Vater habe und was sie wohl von ihm gedacht hätte, wenn sie einander begegnet wären. Aber tief in ihrem Herzen hatte sie nur Verachtung für ihn. Denn er hatte einenFluch über Jarrah und Warratah gebracht – einen Fluch, der ihre Mutter und alles, was Claire je gekannt hatte, beinahe vernichtet hätte. Kein Wunder, dass man ihn in diese entlegene Ecke verbannt hatte.
Sie wandte sich von seiner letzten Ruhestätte ab und schaute nach Jarrah hinüber. Die Sonne brachte Farbe und Licht über das Bluestone-Haus. Vögel sangen, Grillen zirpten, und sogar ein paar Fliegen summten schon im Gras. Die Nebengebäude erwachten gerade zum Leben; die Männer standen auf und begannen den neuen Tag, und aus dem Kamin am Kochhaus stieg Rauch auf. Pferde standen dösend unter den Bäumen, und die Blue Heeler, die zu Hause geblieben waren, räkelten sich gähnend im Zwinger. Sie hatte diesen Ort einmal fast so sehr geliebt wie Warratah. Aber jetzt hasste sie ihn. Zu viele Schatten lauerten hier – Schatten, die immer von diesem stummen Grabstein ausgehen würden und die vielleicht auch Schwächen ihrer selbst widerspiegelten. Denn sie wusste nicht, welches Erbe er ihr hinterlassen hatte.
Sie verließ den Friedhof durch das Tor, und plötzlich verspürte sie eine neue Zielstrebigkeit. Sie ging über den Hof zum Geländewagen, stieg ein und überprüfte den Benzinstand. Wenige Augenblicke später hatte sie Jarrah hinter sich gelassen und fuhr über die Ebene. Sie war auf der Suche nach Seelenfrieden, nach Freiheit und der Kraft zum Verzeihen. Solange sie diese nicht gefunden hatte, konnte sie nicht nach Jarrah zurückkehren, konnte das Ende der Geschichte nicht hören. Und es gab noch ein Ende – das wusste sie so sicher, wie die Nacht auf den Tag folgte. Denn noch war die Frage, warum sie die Eigentümerin von Jarrah war, ja nicht beantwortet.
Leanne küsste Angel auf die Wange, und dann stand sie auf und streckte sich. Der Schock saß ihr immer noch in den Gliedern, aber sie brannte doch auch darauf, zu erfahren, warum MickeyMaughan Jarrah ihrer Schwester vermacht hatte. Aber als sie die zusammengesunken dasitzende Ellie sah, wusste sie, dass dies nicht der richtige Augenblick dafür war. Sie waren alle erschöpft.
Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und versuchte Ordnung in das Chaos ihrer Gedanken zu bringen. Claire musste niedergeschmettert sein, und sie fragte sich, was für ein Gefühl es wohl sein mochte, plötzlich zu erfahren, dass man nicht die war, für die man sich gehalten hatte. Dass man die Folge einer Vergewaltigung war. Ihre Feindseligkeit kam ihr plötzlich engstirnig vor, und sie schämte sich der Worte, die sie ausgespien hatte. Sie hatte die Menschen verletzt, die ihr am wichtigsten waren, und sie wünschte, sie könnte diese furchtbaren Worte zurücknehmen. Sie zündete sich eine Zigarette an und drückte sie gleich wieder aus. Sie schmeckte ekelhaft, und außerdem spürte sie, dass ihr Kopfschmerzen drohten. Sie schaute durch das Fenster in den frühen Morgen hinaus und sah wieder, wie
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