Ange Pitou, Band 2
ausruhten, fuhr Gilbert im Galopp nach Versailles.
Es war spät; doch daran lag Gilbert wenig. Bei Männern seines Schlages ist Thätigkeit Bedürfnis. Seine Fahrt konnte möglicherweise ohne Erfolg sein; doch war ihm eine vergebliche Fahrt noch lieber, als auf der Stelle zu bleiben. Für nervöse Organisationen ist die Ungewißheit eine schlimmere Folter, als die erschrecklichste Wirklichkeit.
Er kam nach Versailles um halb elf Uhr; in gewöhnlicher Zeit wäre alle Welt zu Bette gegangen und in den tiefsten Schlaf versunken gewesen. Doch an diesem Abend schlief niemand in Versailles. Man hatte hier den Gegenschlag der Erschütterung empfangen, unter der Paris noch zitterte.
Die französischen Garden, die Gardes-du-corps, die Schweizer, rottenweise aufgestellt, an allen Ausgängen der Hauptstraßen gruppiert, unterhielten sich untereinander oder mit den Bürgern, deren royalistischen Gesinnungen ihnen Vertrauen einflößte.
Ganz Versailles trieb sich also in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 1789, in bunter Verwirrung umher und wollte erfahren, wie der König die seiner Krone zugefügte Beleidigung, den seiner Macht versetzten Schlag aufnehmen werde.
Durch die Antwort, die Mirabeau Herrn von Dreux-Breze gegeben, hatte er das Königtum ins Gesicht geschlagen. Durch die Einnahme der Bastille war es vom Volk ins Herz getroffen.
Für die beschränkten Köpfe, für die Kurzsichtigen war indessen die Frage rasch gelöst. In den Augen der Militärs besonders, die im Resultat der Ereignisse nur den Sieg oder die Niederlage der rohen Gewalt zu sehen gewohnt waren, handelte es sich ganz einfach um einen Marsch nach Paris. Dreißigtausend Mann und zwanzig Kanonen würden bald diesen Stolz und diese Siegeswut der Pariser vernichten.
Noch nie hatte das Königtum so viele Räte gehabt; jeder gab seine Ansicht ganz laut und öffentlich zum besten.
Die Mäßigsten sagten: Das ist ganz einfach. Man erwirke zuerst von der Nationalversammlung eine Gutheißung, die sie nicht verweigern wird; ihre Haltung ist seit einiger Zeit beruhigend für jedermann, sie will ebensowenig von unten ausgehende Gewaltthätigkeiten, als von oben herabkommende Mißbräuche.
Die Nationalversammlung wird ganz unumwunden erklären, der Aufruhr sei ein Verbrechen; Bürger, die Abgeordnete haben, um ihre Beschwerden dem König auseinanderzusetzen, und einen König, um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, begehen ein Unrecht, wenn sie ihre Zuflucht zu den Waffen nehmen und Blut vergießen.
Mit dieser Erklärung ausgerüstet, die man sicherlich von der Nationalversammlung erlangen wird, kann der König nichtumhin, Paris als guter Vater, das heißt streng, zu züchtigen.
So wird der Sturm zum Schweigen gebracht, das Königtum tritt in sein erstes Recht wieder ein. Die Völker kehren zu ihrer Pflicht zurück, die der Gehorsam ist, und alles verfolgt seinen gewohnten Weg.
So ordnete man im allgemeinen die Angelegenheiten auf dem Cours und auf den Boulevards. Doch vor dem Paradeplatz und in der Umgegend der Kasernen führte man eine andre Sprache. Hier sah man unbekannte ortsfremde Menschen, Menschen mit verständigem Gesicht und verschleiertem Auge, bei jedem Anlaß geheimnisvolle Ratschläge austeilen, die schon sehr ernsten Nachrichten übertreiben und beinahe öffentlich Propaganda mit den meuterischen Ideen treiben, die seit zwei Monaten Paris in Bewegung setzten und die Vorstädte aufwiegelten.
Um diese Menschen bildeten sich düstere, feindselige, belebte Gruppen, die man an ihr Elend, an ihre Leiden, an die brutale Menschenverachtung erinnerte, deren sich das Königtum schuldig gemacht.
An den dunkelsten Orten bildeten sich andre Versammlungen, wurden andre Worte gesprochen. Diejenigen, welche sie aussprachen, waren Männer, die offenbar einer höheren Klasse angehörten und von der Volkstracht eine Verkleidung geborgt hatten, in der sie aber verraten wurden durch ihre weißen Hände und ihre feingebildete Sprache.
Volk! sagten diese Männer, man beirrt dich in der That von zwei Seiten: die einen fordern dich auf, zurückzukehren, die andern treiben dich vorwärts. Man spricht dir von politischen Rechten, von sozialen Rechten; bist du glücklicher, seitdem man dir erlaubt hat, durch das Organ deiner Abgeordneten zu stimmen? Bist du reicher, seitdem du vertreten wirst? Hast du weniger Hunger, seitdem die Nationalversammlung Dekrete macht? Nein, nein, überlaß die Politik und ihreTheorieen den Leuten, die zu lesen verstehen. Was dir not
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