Ange Pitou, Band 2
kann.
Sire, sprach Gilbert mit einer Art von Bewunderung, ich danke Eurer Majestät für das, was sie mir gesagt hat; denn es ist beinahe das Geständnis eines Freundes, womit sie mich beehrt.
Oh! ich wünschte, fügte der schüchterne Ludwig XVI. bei, ich wünschte, ganz Europa könnte mich so sprechen hören. Wenn die Franzosen in meinem Herzen alle Stärke und alle Zärtlichkeit, die es enthält, lesen könnten, ich glaube, sie würden mir weniger widerstehen.
Der letzte Teil des Satzes, der auf die bestrittenen königlichen Vorrechte hindeutete, schadete Ludwig XVI. im Geiste von Gilbert.
Er sagte auch rasch und ohne alle Schonung: Sire, da Sie es wollen, mein Meister war der Graf von Cagliostro.
Oh! rief Ludwig errötend, dieser Empiriker! L'empirique, der Empiriker, wird sehr häufig von den Franzosen in der Bedeutung von Charlatan gebraucht
Dieser Empiriker .... ja, Sire, sagte Gilbert. Eure Majestät weiß wohl, daß das Wort, dessen sie sich bedient hat, eines der edelsten ist, die man in der Wissenschaft gebraucht. Empiriker will besagen: der Mensch, der versucht . Immer versuchen, Sire, heißt für einen Denker, für einen Praktiker, für einen Menschen endlich, soviel als thun, was Gott den Sterblichen Größtes und Schönstes zu thun erlaubt hat. Der Mensch versuche sein ganzes Leben hindurch, und sein Leben ist ausgefüllt.
Ah! mein Herr, dieser Cagliostro, den Sie verteidigen, war ein großer Feind der Könige, versetzte Ludwig XVI.
Gilbert erinnerte sich der Halsband-Geschichte.
Will Eure Majestät nicht vielmehr sagen: der Königinnen?
Ludwig zuckte unter dem Stachel.
Ja, sagte er, er hat sich bei der ganzen Angelegenheit des Prinzen Louis von Rohan mehr als zweideutig benommen.
Sire, hier wie anderswo erfüllte Cagliostro die menschliche Sendung: er versuchte für sich. In der Wissenschaft, in der Moral, in der Politik giebt es weder Gutes noch Schlimmes, es giebt nur die bestätigten Erscheinungen, die erlangten Thatsachen. Ich gebe ihn nichtsdestoweniger Ihnen preis, Sire. Der Mensch, ich wiederhole es, kann oft den Tadel verdient haben; vielleicht wird dieser Tadel selbst eines Tages ein Lob für ihn sein; die Nachwelt durchsieht die Urteile der Menschen; doch ich habe nicht unter dem Menschen studiert, Sire, sondern unter dem Philosophen, unter dem Gelehrten.
Gut, sagte der König, der noch die doppelte Wunde seines Stolzes und seines Herzens bluten fühlte, gut, wir vergessen die Frau Gräfin, und sie leidet vielleicht.
Ich werde sie aufwecken, Sire, wenn es Eure Majestät haben will; doch ich hätte gewünscht, das Kistchen wäre während ihres Schlafes hieher gebracht worden.
Warum?
Um ihr eine zu harte Lektion zu ersparen.
Man kommt gerade, sagte der König; warten Sie.
Der Befehl des Königs war pünktlich vollzogen worden; das in dem Palais von Charny in den Händen des Polizeiagenten Pas-de-Loup gefundene Kistchen erschien in dem königlichen Kabinett unter den Augen der Gräfin, ohne daß sie es bemerkte.
Nun! sagte Ludwig XVI.
Sire, das ist das Kistchen, das man mir gestohlen hatte.
Oeffnen Sie es.
Sire, wenn Eure Majestät es wünscht, soll es geschehen. Ich muß Eure Majestät nur auf eines aufmerksam machen. Dieses Kistchen enthält, wie ich Eurer Majestät gesagt habe, Papiere, die sehr leicht zu lesen, zu nehmen sind, während die Ehre einer Frau davon abhängt.
Und diese Frau ist die Gräfin?
Ja, Sire; die Ehre wird aber darum nicht Gefahr laufen, daß sie dem Gewissen Eurer Majestät anheimgegeben worden ist. Oeffnen Sie, Sire, sprach Gilbert, indem er sich dem Kistchen näherte und den Schlüssel dem König reichte.
Mein Herr, erwiderte Ludwig XVI. kalt, nehmen Sie dieses Kistchen mit, es ist Ihr Eigentum.
Ich danke, Sire. Was werden wir mit der Gräfin machen?
Oh! wecken Sie sie hier nicht auf. Ich will das Erstaunen, die Schmerzen vermeiden.
Sire, sprach Gilbert, die Frau Gräfin soll nur dort aufwachen, wohin Eure Majestät es für passend hält sie tragen zu lassen.
Gut, bei der Königin also.
Ludwig klingelte. Ein Offizier trat ein.
Herr Kapitän, sagte er, die Frau Gräfin ist hier, als sie die Nachrichten von Paris vernahm, ohnmächtig geworden. Lassen Sie sie zu der Königin tragen.
Wieviel Zeit braucht man, um sie in die Gemächer Ihrer Majestät zu bringen? fragte Gilbert den König.
Ungefähr 10 Minuten, antwortete dieser.
Gilbert streckte die Hand über der Gräfin aus.
In einer Viertelstunde wird sie aufwachen, sagte er.
Auf
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