Ange Pitou, Band 2
unnötig, nicht wahr? es handelt sich nur darum, Paris wiederzunehmen.
Ja, Madame, aber ...
Immer aber ... Warten Sie, Sie werden später antworten.
Herr von Charny verbeugte sich.
Ich schlage also die zwei Fünfzehntel von Paris auf hunderttausend Mann an, wollen Sie?
Diesmal antwortete der Graf nicht.
Die Königin fuhr fort:
Nun! diesen hunderttausend schlecht bewaffneten, nicht disziplinierten, nicht an Kriegsstrapazen gewöhnten und, weil sie wissen, daß sie Böses thun, zögernden Menschen stelle ich entgegen fünfzigtausend in ganz Europa durch ihre Tapferkeit bekannte Soldaten, Offiziere wie Sie, Herr von Charny, überdies die geheiligte Sache, die man das göttliche Recht nennt, und endlich meine Seele, die sich leicht rühren, aber schwer brechen läßt.
Der Graf schwieg abermals.
Glauben Sie, fuhr die Königin fort, daß bei meinem Kampfe auf diesem Terrain zwei Menschen aus dem Volk mehr wert sind, als einer von meinen Soldaten?
Charny schwieg.
Sprechen Sie, antworten Sie; glauben Sie das? rief ungeduldig die Königin.
Madame, antwortete endlich der Graf, auf Befehl der Königin aus der ehrerbietigen Zurückhaltung, die er beobachtet hatte, heraustretend; auf einem Schlachtfelde, wo diese hunderttausend vereinzelten, nicht disziplinierten und schlecht bewaffneten Menschen erscheinen würden, wären sie von Ihren fünfzigtausend Soldaten in einer halben Stunde geschlagen.
Ah! sagte die Königin, ich habe also recht.
Warten Sie. Es ist nicht so, wie Sie denken. Vor allem, sind Ihre hunderttausend Empörten von Paris fünfmalhunderttausend.
Sie haben die Weiber und die Kinder bei Ihrer Berechnung übergangen. Oh! Königin von Frankreich; oh! mutige und stolze Frau, zählen Sie diese Weiber von Paris als ebenso viele Männer; es wird vielleicht ein Tag kommen,wo diese Weiber Sie nötigen werden, sie als ebensoviel Teufel zu zählen.
Was wollen Sie damit sagen, Graf?
Madame, wissen Sie, was die Rolle eines Weibes bei den Bürgerkriegen ist? Nein. Wohl, ich will es Ihnen sagen, und Sie werden sehen, daß es nicht zu viel wäre, zwei Soldaten gegen jedes Weib zu rechnen. Graf, sind Sie verrückt?
Charny lächelte traurig und fuhr fort:
Haben Sie die Weiber bei der Bastille gesehen, wie sie unter dem Feuer, inmitten der Kugeln zu den Waffen riefen, wie sie Ihre kriegerisch gerüsteten Schweizer mit den Fäusten bedrohten, wie sie über den Leichen der Toten mit jener Stimme, welche die Lebendigen aufspringen macht, Verwünschungen ausstießen? Haben Sie diese Weiber gesehen, wie sie Pech sieden ließen, Kanonen schleppten, unter die berauschten Kämpfer Patronen, unter die furchtsamen Streiter Patronen und Küsse verteilten? Wissen Sie, daß über die Zugbrücke der Bastille ebensoviele Weiber, als Männer stürmten, und daß zu dieser Stunde, wenn die Steine der Bastille stürzen, dies unter der Spitzhaue geschieht, von Weiberhänden gehandhabt? Ah! Madame, rechnen Sie diese Weiber von Paris, rechnen Sie auch die Kinder, die Kugeln gießen, Säbel wetzen, einen Pflasterstein vom sechsten Stock herabwerfen; rechnen Sie dieselben, denn die Kugel, die ein Kind gegossen hat, wird aus der Ferne Ihren besten General darniederstrecken; der Säbel, den es gewetzt hat, wird Ihren Kriegsgenossen die Sehnen entzweischneiden; der blinde Sandstein, der von den Dächern herabfällt, wird Ihre Dragoner und Ihre Garden erschlagen. Rechnen Sie die Greise, Madame, denn wenn sie nicht mehr die Kraft haben, ein Schwert zu schwingen, so haben sie doch noch die Kraft, als Schild zu dienen. Bei der Bastille, Madame, waren Greise; wissen Sie, was diese Greise thaten? Sie stellten sich vor die jungen Leute, welche die Flinten auf ihre Schultern legten, so daß die Kugel Ihrer Schweizer den gebrechlichen Greis tötete, dessenLeib sofort einen Wall bildete zum Schutz des starken Mannes. Rechnen Sie die Greise, denn sie sind es, die seit dreihundert Jahren den aufeinander folgenden Generationen von den Beschimpfungen erzählen, die ihre Mütter erlitten, von dem Notstand ihrer vom Wildbret des Adels zerfressenen Felder, von der Schande ihrer unter den Feudalrechten gebeugten Menschenklasse: und dann ergreifen die Söhne die Axt, die Keule, die Flinte, kurz alles, was sie finden, und töten, als Werkzeuge geladen mit den Verwünschungen des Greises, wie die Kanone mit Pulver und Eisen geladen ist. In Paris schreien in diesem Augenblick Männer, Weiber, Greise und Kinder nach Freiheit. Rechnen Sie alles, was schreit,
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