Ange Pitou, Band 2
acht, rief die Königin.
Und ihr Gesicht nahm einen unbeschreiblichen Ausdruck von Drohung an.
Oh! ich habe wohl nachgedacht, Madame, und durch diese Erwägungen bin ich zum Bewußtsein gekommen, daß ich nicht weniger wert bin, als ein andrer: Jeder hat seine Sünden. Diese Grundwahrheit habe ich einsehen gelernt, nicht, indem ich die Bücher durchblätterte, sondern indem ich das Gewissen andrer durchforschte.
Diese Grundwahrheit ist wahrscheinlich universell und unfehlbar? versetzte die Königin spottend.
Ach! Madame, wenn nicht universell, wenn nicht unfehlbar, so doch wenigstens sehr heilsam im menschlichen Elend, sehr erprobt in tiefen Schmerzen. Und das ist so wahr, daß ich Ihnen sagen würde, -- wenn ich nur den Kreis Ihrer ermüdeten Augen, wenn ich nur die Linie, die sich von einerIhrer Brauen zur andern zieht, wenn ich nur die Falte sehe, welche die Winkel Ihres Mundes zusammenzieht, -- daß ich Ihnen sagen würde, Madame, wie viel strenge Prüfungen Sie ausgestanden haben, wie oft Ihr Herz vor Bangigkeit geschlagen, wie viel geheimen Freuden dieses Herz sich hingegeben hat, um getäuscht zu erwachen. Dies alles, Madame, wenn Sie es wünschen sollten, kann ich Ihnen sagen. Ich werde es Ihnen sagen mit der Sicherheit, nicht Lügen gestraft zu werden; ich werde es Ihnen offenbaren, indem ich bloß einen Blick auf Sie hefte, der lesen kann und will. Und wenn Sie das Gewicht dieses Blickes, wenn Sie das Blei dieser Forschgierde in die Tiefe Ihrer Seele eindringen fühlen, wie das Meer das Blei der Sonde fühlt, die in seine Abgründe eindringt, dann werden Sie begreifen, Madame, daß ich viel vermag, und daß man mir, wenn ich mich ruhig verhalte, Dank wissen muß, statt mich zum Kriege herauszufordern.
Diese Sprache, unterstützt durch einen entsetzlich unbeugsamen, herausfordernden Willen des Mannes gegen die Frau; diese Verachtung aller Etikette in Gegenwart der Königin machten einen unbeschreiblichen Eindruck auf Marie Antoinette.
Sie fühlte es wie einen kalten Nebel auf ihre Stirn fallen und ihre Ideen vereisen; sie fühlte ihren Haß in Schrecken verwandelt, ließ ihre Hände ermattet fallen und machte einen Schritt rückwärts, um der Annäherung dieser unbekannten Gefahr zu entfliehen.
Und nun, Madame, sprach Gilbert, der klar sah, was in ihr vorging, begreifen Sie, daß es mir sehr leicht ist, zu erfahren, was Sie vor aller Welt verbergen und was Sie sogar vor sich selbst verbergen; begreifen Sie, daß es mir leicht ist, Sie auf diesem Stuhle auszustrecken, den Ihre Finger instinktartig suchen, um eine Stütze daran zu finden.
Oh! machte die Königin erschrocken, denn sie fühlte unbekannte Schauer bis in ihr Herz eindringen.
Ich darf nur ein Wort in mich selbst hineinsprechen, das ich nicht sagen will, fuhr Gilbert fort, ich darf nur einen Willen befestigen, auf den ich verzichte, und Sie fallen niedergedonnertin meine Gewalt. Sie zweifeln, Madame; oh! zweifeln Sie nicht. Sie würden mich vielleicht versuchen, und wenn Sie mich einmal versuchen! Doch nein, nicht wahr, Sie zweifeln nicht?
Halb zurückgeworfen, stöhnend, beklommen, verwirrt, klammerte sich die Königin mit der Energie der Verzweiflung und der Wut einer nutzlosen Verteidigung an die Lehne ihres Stuhles an.
Oh! fuhr Gilbert fort, glauben Sie mir, Madame, wenn ich nicht der ehrerbietigste, der ergebenste, der fußfälligste Ihrer Unterthanen wäre, so würde ich Sie durch ein furchtbares Experiment überzeugen. Aber seien Sie unbesorgt! Ich neige mich in Demut; sage ich Ihnen, einen Gedanken zu haben, der Ihren Gedanken nur oberflächlich antastet, ich würde mich eher töten, als daß ich Ihre Seele zu beengen suchte.
Mein Herr, mein Herr, rief die Königin, indem sie mit ihren Armen die Luft schlug, als wollte sie Gilbert, der mehr als drei Schritte von ihr entfernt stand, zurückstoßen.
Und dennoch haben Sie mich in die Bastille einsperren lassen, fuhr Gilbert fort. Sie bedauern es nur, daß Sie erstürmt ist, weil das Volk mir die Thore geöffnet hat. Ihr Haß bricht in Ihren Augen gegen einen Mann aus, dem Sie persönlich nichts vorzuwerfen haben. Und sehen Sie, ich fühle es, seitdem ich den Einfluß abspanne, mit dem ich Sie im Zaume hielt -- wer weiß, ob Sie nicht mit dem freien Atemzug wieder den Zweifel in sich aufnehmen!
In der That, seitdem Gilbert nachließ, ihr mit Blick und Hand zu befehlen, hatte sich Marie Antoinette beinahe drohend wieder erhoben, wie der Vogel, der, von der Erstickung der Luftpumpe
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