Ange Pitou, Band 2
Gilbert, ging auf Marie Antoinette zu, nahm sie bei der Hand und sagte: Beruhigen Sie sich, Madame, es wird geschehen, wie Sie wünschen. Sie wissen, liebe Gemahlin, daß ich um mein Leben nichts thun möchte, was Ihnen unangenehm wäre, denn ich hege die gerechteste Zuneigung für eine Frau von Ihrem Verdienst, und besonders von Ihrer Tugend.
Ludwig XVl. betonte diese Worte mit einem unaussprechlichen Adel und erhob so mit allen seinen Kräften die so sehr verleumdete Königin, und zwar in den Augen eines Zeugen, der zur Not fähig war, zu berichten, was er gesehen und gehört.
Diese Zartheit rührte Marie Antoinette aufs tiefste; sie drückte ihm die Hand und sprach: Nun, Sire, bis morgen, also nicht später, das ist die äußerste Frist; doch um diesebitte ich Sie inständig, auf den Knieen; morgen, zur Stunde, die Ihnen beliebt, das schwöre ich Ihnen, werden Sie nach Paris abreisen.
Nehmen Sie sich in acht, Madame, der Doktor ist Zeuge, sagte lächelnd der König.
Sire, Sie haben mich nie ein Wort brechen sehen, erwiderte die Königin.
Nein, nur gestehe ich, daß es mich zu erfahren verlangt, warum Sie vierundzwanzig Stunden von mir fordern. Erwarten Sie eine Nachricht von Paris? eine Nachricht von Deutschland? handelt es sich um ein Eintreffen von Truppen, um eine Verstärkung, um eine politische Berechnung?
Sire! Sire! murmelte die Königin im Tone des Vorwurfs. Es handelt sich um nichts.
Dann ist es ein Geheimnis.
Nun wohl, ja; das Geheimnis einer besorgten Frau, nichts andres.
Laune, nicht wahr?
Laune, wenn Sie wollen.
Oberstes Gesetz.
Das ist wahr. Warum ist es nicht in der Politik wie in der Philosophie, warum ist es nicht den Königen erlaubt, ihre politischen Launen als oberste Gesetze aufzustellen?
Man wird dazu kommen, seien Sie unbesorgt. Was mich betrifft, so ist das schon geschehen, sprach der König scherzend. Morgen also.
Morgen, erwiderte trübsinnig die Königin.
Behalten Sie den Doktor, Madame? fragte der König.
Oh! nein, nein, entgegnete die Königin mit einer Art von Lebhaftigkeit, die Gilbert lächelnd machte.
Ich werde ihn also mitnehmen.
Gilbert verbeugte sich zum dritten Male vor Marie Antoinette, die diesmal seinen Gruß nicht mehr als Königin, sondern als Frau erwiderte.
Der König ging auf die Thüre zu, und Gilbert folgte ihm.
Mir scheint, sagte der König, während er die Gallerie durchschritt, Sie stehen gut mit der Königin, Herr Gilbert?
Sire, erwiderte der Doktor, das ist eine Gunst, die ich Eurer Majestät zu verdanken habe.
Es lebe der König! riefen die Höflinge, die schon in die Vorzimmer strömten. Es lebe der König! wiederholte eine Menge von Offizieren und fremden Soldaten, die sich an den Thüren des Palastes drängten.
Diese Zurufe bereiteten dem Herzen Ludwigs XVI. eine Freude, die er bei noch so zahlreichen Gelegenheiten vielleicht noch niemals empfunden hatte.
Die Königin war an dem Fenster sitzen geblieben, wo sie so furchtbare Augenblicke zugebracht hatte. Als sie diese Zurufe der Ergebenheit und Liebe hörte, die den König auf seinem Wege empfingen und in der Ferne unter den Säulenlauben und im dichtesten Schatten verrauschten, sagte sie: Es lebe der König! Oh! ja, es lebe der König! Er soll leben, und zwar dir zum Trotz, schändliches Paris! Abscheulicher Schlund, blutiger Abgrund, dieses Opfer sollst du nicht verschlingen. Ich werde es dir entreißen, ich, mit diesem so schwachen, so magern Arm, der dich in diesem Augenblick bedroht und dem Fluche der Welt und der Rache Gottes überzieht.
Und indem sie so mit einer Heftigkeit des Hasses sprach, welche die wütendsten Freunde der Revolution erschreckt haben würde, streckte die Königin gegen Paris ihren schwachen Arm aus, der gleich einem Schwert, das aus der Scheide springt, unter der Hülle von Silberspitzen, glänzte.
Dann rief sie Madame Campan, zu der sie unter ihren Frauen am meisten Vertrauen hatte, schloß sich in ihr Kabinett ein und gab Befehl, jedermann abzuweisen.
Der Brustharnisch.
Am andern Morgen erhob sich, glänzend und rein, wie am vorhergehenden Tage, eine blendende Sonne und vergoldete den Marmor und den Sand von Versailles.
Die Königin war um fünf Uhr aufgestanden. Sie ließ den König bitten, sogleich nach seinem Erwachen zu ihr zu kommen.
Ein wenig ermüdet durch den Empfang einer Deputation der Nationalversammlung, der bei ihrer Erscheinung am vorhergehenden Tag hatte antworten müssen, -- das war der Anfang der Reden, -- hatte Ludwig XVI., um sich
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