Ange Pitou, Band 3
Königin: Madame gehen Sie in Ihre Gemächer und treffen Sie Anstalten.
Dieser Befehl des Königs schien Charny an etwas wie ein wichtiges Ereignis, das er vergessen hatte, zu erinnern.
Er eilte der Königin voran.
Was wollen Sie bei mir machen, mein Herr? fragte die Königin hart; Sie haben nichts dort zu thun.
Ich wünsche es sehr lebhaft, Madame, erwiderte Charny, und wenn ich wirklich nichts dort zu thun habe, so werde ich nicht so lange bleiben, daß meine Gegenwart Eurer Majestät mißfallen könnte.
Die Königin folgte ihm. Blutspuren befleckten den Boden; die Königin sah sie. Marie Antoinette schloß die Augen, suchte einen Arm, um sie zu führen, nahm den von Charny und ging so ein paar Schritte blind.
Plötzlich fühlte sie, wie Charny am ganzen Leibe schauerte.
Was giebt es, mein Herr? fragte sie, die Augen wieder öffnend. Dann rief sie: Ein Leichnam! ein Leichnam!
Eure Majestät wird mich entschuldigen, wenn ich ihren Arm loslasse, sagte Charny. Ich habe gefunden, was ich bei ihr gesucht, den Leichnam meines Bruders Georges.
Es war in der That der des unglücklichen jungen Mannes, dem sein Bruder befohlen hatte, sich für die Königin töten zu lassen. Er hatte pünktlich gehorcht.
Georges von Charny.
Die Erzählung, die wir gegeben haben, ist schon auf hundert verschiedene Arten gemacht worden, denn es ist sicherlich eine der interessantesten aus der großen von 1789 bis 1795 verlaufenen Periode, die man die französische Revolution nennt.
Sie wird noch auf hundert verschiedene Arten gemachtwerden, aber wir versichern zum voraus, niemand wird es mit mehr Unparteilichkeit thun, als wir.
Doch nach allen diesen Erzählungen wird noch sehr viel zu thun bleiben, denn die Geschichte ist nie vollständig! Unter hunderttausend Zeugen hat jeder seine eigene Darstellung; unter hunderttausend verschiedenen Einzelheiten hat jede ihr Interesse und ihre Poesie gerade dadurch, daß sie verschieden sind.
Doch wozu werden diese Erzählungen dienen? hat je eine politische Lektion einen Politiker unterrichtet?
Haben je die Thränen und das Blut der Könige die Macht des einfachen Wassertropfens gehabt, der die Steine aushöhlt?
Nein, die Königinnen haben geweint; die Könige sind ermordet worden, und zwar ohne daß ihre Nachfolger aus der schrecklichen Lehre des Schicksals jemals einen Nutzen gezogen hätten.
Die ergebenen Menschen haben ihre Ergebenheit verschwendet, ohne daß denjenigen, welche vom Verhängnis zum Unglück bestimmt waren, ein Vorteil daraus erwachsen wäre.
Ach! wir haben die Königin über den Leichnam von einem jener Menschen beinahe stolpern sehen, welche die Könige ganz blutig auf dem Wege liegen lassen, den sie bei ihrem Fall durchlaufen haben.
Einige Stunden nach dem Schreckensschrei, den die Königin ausgestoßen, und in dem Augenblick, wo sie mit dem König und ihren Kindern Versailles, wohin sie nicht mehr zurückkehren sollte, verließ, ereignete sich in einem kleinen inneren, vom Regen befeuchteten Hof, den ein scharfer Herbstwind zu trocknen anfing, folgendes:
Ein schwarz gekleideter Mann neigte sich über einen Leichnam.
Ein Mann in der Uniform der Garden kniete auf der andern Seite des Leichnams.
Drei Schritte von ihnen stand, die Hände krampfhaft geballt, die Augen starr, ein dritter Gefährte.
Der Tote war ein junger Mann von zweiundzwanzig bis dreiundzwanzig Jahren, dessen ganzes Blut durch die breiten Wunden, die er am Kopf und an der Brust erhalten, ausgeströmt zu sein schien.Ganz durchfurcht und bläulichweiß geworden, schien sich seine Brust unter dem angestrengten Atem eines hoffnungslosen Kampfes noch zu heben.
Sein leicht geöffneter Mund, sein mit einem Ausdruck des Schmerzes und des Zornes zurückgeworfener Kopf erinnerten den Geist an jenes schöne Bild des römischen Volks: Und mit einem langen Seufzer entflieht das Leben nach der Wohnung der Schatten.
Der schwarz gekleidete Mann war Gilbert.
Der Offizier auf den Knieen war der Graf Charny.
Der stehende Mann war Billot.
Der Leichnam war der des Barons Georges von Charny.
Gilbert, der sich über den Leichnam neigte, schaute mit jener erhabenen Starrheit, die bei dem Sterbenden das Leben, das zu entfliehen im Begriff ist, zurückhält, und bei dem Toten die entflohene Seele beinahe zurückruft.
Kalt, starr; er ist tot, ganz tot, sprach er endlich.
Der Graf von Charny gab ein heiseres Stöhnen von sich, schloß den unempfindlichen Leib in seine Arme und brach in ein so herzzerreißendes
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