Angel 01 - Die Engel
Ihnen wieder gut?«, fragte einer der Gäste.
» Ja, ja, alles bestens«, versicherte Stan, dem es ganz und gar nicht gutging. » Ich war nur … ich glaube, ich leide unter – wie hieß das nochmal? – Schizophrenie oder so etwas. Immer wieder tue ich Dinge, ohne zu wissen, dass ich sie tue.«
» Ich kann Ihnen sagen, was Sie getan haben, Sie haben in Ihren Klamotten gebadet«, sagte eine alte Frau am anderen Ende der Bar.
Stan lachte nervös. » Sieht ganz so aus, nicht wahr?«
» Sie sollten nach Hause gehen und sich trockenlegen«, riet der Barkeeper.
» Ja, das sollte ich wohl. Tut mir leid, das alles.«
» Machen Sie sich keine Gedanken«, meinte ein Jugendlicher, und fügte dann im krassen Widerspruch dazu hinzu: » Sie brauchen einen Arzt.«
» Ja … einen Arzt.«
Stan verließ das Pub und stieg in sein Auto. Gott sei Dank war der Verkehr in London wieder normal. Die Plage des Autosterbens war vorbei. Die Maschinen lebten wieder. Jetzt gab es nur noch diese ekelhaften Geschwüre, mit denen sie fertigwerden mussten. Jeder hatte sie, vor allem am Hals und im Gesicht. Viele widerliche Dinge auf den Straßen, so oder so.
Stan startete den Wagen und fuhr schnell nach Hause. Dort nahm er ein Bad und zog sich um. Anschließend setzte er sich mit einem Glas Whisky ins Wohnzimmer, bereit, sich zu betrinken. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm, aber er wollte sich nicht krankmelden, bevor dieser Auftrag erledigt war. Er hasste es, seiner Pflicht nicht nachkommen zu können. Das war ein wichtiger Fall, und auch wenn er sich anscheinend die Missgunst von Rajeb Patel und Lieutenant Peters zugezogen hatte, wollte er bis zum Schluss dabeibleiben.
Also trank er seinen Whisky und hoffte, dass das Fieber bald vergehen würde.
28
S eit dem Vergewaltigungsversuch hatte sich eine leichte Kluft zwischen Daphne und Rajeb aufgetan. Es war kein ernsthaftes Beziehungsproblem, aber doch etwas, dem sie sich früher oder später würden stellen müssen. Daphne hatte sich klugerweise dafür entschieden, nach dem Vorfall zu einem Therapeuten zu gehen, und Rajeb war verletzt und verwirrt, da er nicht verstand, warum sie zu einem Fremden ging, um über diese Dinge zu sprechen, wenn doch er da war, um sie zu trösten. An diesem Abend saßen sie in ihrem Wohnzimmer, tranken Tee und sprachen über das Thema.
» Du verstehst einfach nicht …«, begann Daphne.
» Ganz genau, ich verstehe es nicht«, unterbrach Rajeb sie. » Deshalb frage ich dich ja nach dem Warum.«
» Schau, ich gehe zu dieser Frau, weil sie eine Fremde ist, eine Fremde, die Erfahrung darin hat, Menschen nach einer traumatischen Erfahrung zu helfen. Wenn ich dich bitten würde, mir zu helfen, würde alles durcheinandergeraten. Du bist emotional zu involviert.«
» Ich habe doch nicht versucht, dich zu vergewaltigen.«
Daphne seufzte. » Nein, natürlich nicht. Ich will damit ja auch nicht sagen, dass alle Männer gleich sind oder so was. Aber du und ich, wir lieben einander – zumindest hoffe ich das –, und in so einem Fall sind wir vielleicht genau die falsche Medizin füreinander. Und ich muss mit jemandem reden, Rajeb. Mach es mir doch nicht so schwer.«
Er schaukelte in seinem Sessel vor und zurück. Sie konnte sehen, dass er todunglücklich war. In seiner Familie behielt man persönliche Dinge für sich und zog nicht los und heulte sich bei irgendwelchen Fremden aus. » Wir kümmern uns umeinander«, war eine seiner liebsten Redewendungen. Wenn in Rajebs Familie eine Leiche auftauchte, schaffte man sie sofort in den Keller, und die einzigen Menschen, die wissen durften, dass sie dort war, gehörten zum engsten Familienkreis.
Auch wenn Rajeb normalerweise ein rationaler Mensch war, musste Daphne doch immer wieder gegen tiefsitzende Familientraditionen ankämpfen, wenn es darum ging, bestimmte Probleme anzugehen. Jedes Mal, wenn der Begriff » Therapie« fiel, zuckte er zusammen.
» Ich verstehe es einfach nicht.« Er seufzte.
» Wenn das so ist, müssen wir es einfach dabei belassen, denn besser kann ich es dir nicht erklären. Diese Leute sind wie Ärzte, Raj. Sie haben eine strikte Berufsethik und eine Schweigepflicht, und die Chancen, dass du ihr auf einer Party, auf der Straße oder im Supermarkt über den Weg läufst, stehen fünfzig Millionen zu eins. Damit brauchst du mir also gar nicht erst zu kommen. Außerdem ist mein psychisches Gleichgewicht wichtiger als dein Schamgefühl. So bleibt es ein Geheimnis zwischen vier Leuten statt drei, das
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