Angel 01 - Die Engel
ist alles.«
» Vier?«
» Ich schätze mal, Stan Gates wird es nicht vergessen haben. Und ich sagte vier, weil ich nicht glaube, dass er damit im Pub hausieren geht.«
Rajeb riss die Augen auf. Der Gedanke, dass Gates etwas über den Vorfall verraten könnte, war so grauenhaft, dass er ihm bisher noch gar nicht gekommen war. » Wenn er auch nur ein einziges Wort verrät, werde ich das Arschloch umbringen, das schwöre ich.«
» Wirst du nicht, Raj. Schau, du hast mir doch auch erzählt, dass er gegenüber Lieutenant Peters schon etwas angedeutet hätte. Wir müssen uns alle beruhigen. Genau das meine ich, wenn ich sage, du bist emotional involviert. Mit dir kann ich nicht vernünftig über diese Sache reden. Also muss ich mit jemand anders reden, und da ist ein ausgebildeter Therapeut am besten. Und jetzt machen wir uns einfach einen schönen Abend und vergessen das Thema.«
Raj nickte. Eigentlich wollte er das Thema noch nicht beenden, aber andererseits war er vernünftig genug zu erkennen, dass sie einfach nicht weiterkamen.
» Im Fernsehen läuft ein Western«, sagte er. » Sollen wir uns den anschauen?«
Daphne wollte keinen Western sehen. » Eigentlich muss ich noch in die Bibliothek. Die hat heute bis acht geöffnet.«
» Soll ich mitkommen?«
» Nein, ich komme schon klar. Dir wird nur langweilig, wenn du mir bei der Suche nach den richtigen Büchern helfen musst. Bleib du hier und schau deinen Film an. Ich bleibe auch nicht lange weg, versprochen.«
» Okay. Wir wär’s, wenn du uns auf dem Rückweg was beim Chinesen holst?«
» Was willst du denn? Außer Spareribs, die du ja immer isst.«
» Ich esse nicht immer Spareribs – aber ja, heute hätte ich Lust drauf, und gebratenen Reis mit Krabben. Aber Malaysia-Art, der ist schärfer als der andere.«
» Alles klar.«
Während Daphne sich den Mantel anzog, schaltete er den Fernseher an. Sie wusste, es verletzte ihn, dass sie seine Leidenschaft für Western nicht teilte, aber auch bei der Zweisamkeit gab es gewisse Grenzen. Wenn der Film eine richtige, vernünftige Handlung hatte, machte es ihr nichts aus, aber der heute war nur der übliche Mist über zwei Kerle im tödlichen Duell. Egal ob es nötig war, der eine würde den anderen töten, und Rajeb würde am Bildschirm kleben, solange die Kugeln flogen.
Daphne fuhr mit dem Auto zur nächsten Bibliothek. Sie parkte in einem mehrstöckigen Parkhaus und musste bis zur siebten Ebene hochfahren, da offenbar viele Leute den Markt in der Nähe besuchten. Der Aufzug funktionierte nicht, also musste sie über die Treppe ins Erdgeschoss gehen. Die Bibliothek war nur ein paar Hundert Meter vom Parkhaus entfernt.
Während der nächsten Stunde vertiefte sie sich völlig in ihre Recherchen über Erziehungsprobleme bei Zigeunerkindern; über dieses Thema wollte sie irgendwann eine Doktorarbeit schreiben. Zurzeit erstellte sie nach und nach eine Bücherliste, aus der schließlich eine Übersicht über die Forschungsliteratur werden würde, die Bestandteil ihrer These wäre. Rajeb hatte ihr geholfen, Kontakt zu ein paar Zigeunerfamilien im East End herzustellen, und die Gespräche mit ihnen hatten sie fasziniert. Sie hatten einen ganz eigenen Blick auf das Leben. Als ein alter, » niedergelassener« Zigeuner einmal gefragt wurde, warum er am Ende seines Lebens dann doch noch eine Sozialwohnung angenommen hätte, antwortete er: » Mir wurde langsam schwindelig.« Womit er sich auf die ständigen, immer in großen Kreisen verlaufenden Reisen bezog, aus denen sein Leben bestanden hatte.
Als sie das Gefühl hatte, lang genug weg gewesen zu sein, suchte Daphne sich die Bücher zusammen, die sie mit nach Hause nehmen wollte, und ging damit zur Ausleihe.
Draußen bauten die Marktleute gerade ihre Buden ab und klappten die Rahmen zusammen, über die ihre Zeltplanen gespannt waren. Daphne kaufte bei einer Frau, die gerade ihren Wagen belud, noch etwas Obst und bekam es sogar billiger, weil die Frau es eilig hatte und der Verkaufstag bereits beendet war. Die Sonne hing tief zwischen den hohen Gebäuden. Mit einer schweren Tasche in jeder Hand ging Daphne zum Parkhaus.
Der Aufzug war immer noch kaputt, also schleppte sie sich müde die Treppen hinauf. Einmal glaubte sie, Schritte hinter sich zu hören, aber als sie stehen blieb, um zu lauschen, blieb in dem senkrechten Betontunnel alles ruhig. Sie ging weiter zur siebten Ebene, drückte die schwere Metalltür auf und betrat das Parkdeck, dessen Wände voller
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