Angel Eyes. Zwischen Himmel und Hölle (German Edition)
gestern nicht in mein Zimmer gekommen, weiß ich nicht, was geschehen wäre.
Ich stelle die Musik meines iPod lauter, doch das hilft auch nicht. Auf der ganzen Fahrt zur Kirche schaue ich aus dem Fenster, in der Hoffnung, irgendwo einen schwarzen Shelby Cobra zu entdecken. Doch als wir auf den Parkplatz der Kirche einbiegen, sehe ich stattdessen den mitternachtsblauen Fünfundsechziger Mustang meines Großvaters in der Sonne glänzen.
«Er ist wirklich fertig», flüstere ich überwältigt.
Lächelnd dreht meine Mutter sich um. «Sieht aus, als würdest du nachher stilecht nach Hause kutschiert werden.»
«Ich verstehe dich nicht», sagt Grace. «Wer will schon freiwillig in so einer alten Karre fahren?»
«Großvater und ich, beispielsweise.»
Grace schnaubt und zuckt die Achseln.
Während der Messe fällt es Großvater sichtlich schwer, still zu sitzen. Ich bin genauso unruhig wie er. Ab und zu sehe ich zu Grace, die vor mir kniet und den Rosenkranz durch ihre Finger gleiten lässt. Nach Matts Tod hat sie sich völlig Gott zugewandt, als könnte er etwas ändern. Ich könnte ihr sagen, dass Beten nichts hilft, denn ich habe es versucht.
Das letzte Mal gebetet habe ich vor drei Jahren. Es war an einem Samstag. Ich bin vor Schmerzen aufgewacht, es war, als würde ein Blitz durch mein Gehirn fahren. Als ich die Augen zukniff, sah ich meine Großmutter vor mir, sie lag mit dem Gesicht nach unten in ihrem Garten in einer Blutpfütze. Ich bin aus dem Bett gesprungen, zum Telefon gelaufen und habe bei meinen Großeltern angerufen, doch niemand meldete sich. Dann bin ich zu meiner Mom und habe sie angefleht, nach Großmutter zu sehen, aber sie hat mich nicht ernst genommen. Wahrscheinlich habe ich mich wie eine Irre aufgeführt, denn das, was ich gesehen hatte, konnte ich ihr einfach nicht erzählen. Stattdessen bin ich in mein Zimmer gegangen, um zu beten.
Später, als Großvater vom Angeln kam, hat er meine Großmutter im Garten gefunden. Sie war von der Leiter gefallen, mit einer Gartenschere in der Hand, die sich beim Aufprall in ihren Magen gebohrt hatte.
Da wusste ich ohne alle Zweifel, dass es keinen Gott gibt.
Die Messe zieht sich endlos. Als das letzte Amen ertönt, springt Großvater auf und tippt mich an. «Hast du Lust auf eine kleine Spritztour?»
«Darauf warte ich schon seit einem Jahr.»
«Dann los.»
Auf dem Parkplatz öffnet er die Fahrertür und gibt mir die Schlüssel.
«Ich darf fahren? Wirklich?»
Großvater schmunzelt. «Das hast du dir verdient.»
Ich klettere auf den Fahrersitz. Mein Großvater umrundet den Wagen und steigt auf der Beifahrerseite ein. Als ich den Wagen starte, schnurrt der Motor wie eine Katze. Großvater schaltet das Radio ein. Sympathy for the Devil von den Rolling Stones ertönt, und ich stelle die Musik lauter. «Das ist so großartig», sage ich, umklammere das Lenkrad und spüre selbst, wie breit ich grinse.
Großvaters blaue Augen leuchten vor Freude. «Nichts wie los.»
Ich justiere den Rückspiegel und meinen Sitz, lege den ersten Gang ein und rolle langsam vom Parkplatz. «Gib mal ein bisschen Gas», sagt mein Großvater, als wir auf der Landstraße sind. «Wir wollen doch mal sehen, was diese Schönheit in sich hat.»
Ich trete aufs Gaspedal, schalte hoch und genieße den Wind in meinen Haaren und die Sonne auf meiner Haut. «Perfekt», brülle ich durch den Motorenlärm, den Wind und die Musik.
Das Gesicht meines Großvaters glüht vor Stolz. «Du hast einen prima Job gemacht.»
«Großvater?»
«Ja.»
«Was glaubst du, welchen Wagen der Teufel fahren würde, wenn er einen hätte?»
«Der Teufel?», lacht mein Großvater. «Der würde vermutlich einen schwarzen Shelby Cobra GT 500 fahren.»
Mein Herzschlag stockt. «Aus welchem Jahr?»
«1967.»
Nicht ganz, aber ziemlich dicht dran.
Wir biegen in seine Einfahrt ein. «Park den Wagen vor dem Haus», bittet mich mein Großvater. «Wenn du magst, drehen wir nachher noch ein paar Runden.»
«Welchen Wagen nimmst du dir denn als nächsten vor?», frage ich im Aussteigen. «Wieder einen Mustang?»
«Ich denke schon. So ein Siebenundsechziger Shelby wäre nicht schlecht.» Großvater schließt die Haustür auf. «Komm, ich habe was gefunden, das ich dir zeigen möchte.» Süßer Pfeifenduft schlägt mir entgegen, während wir das kleine Wohnzimmer mit der abgewetzten Couchgarnitur und den Walnussmöbeln zu seinem dahinterliegenden Schlafzimmer durchqueren. Dort nimmt er einen Holzrahmen von der
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