Angel Eyes. Zwischen Himmel und Hölle (German Edition)
dass du so fertig bist.»
«Es geht schon wieder», murmelt sie. Ich biege auf den Parkplatz vor meiner Wohnung.
Frannie sieht nach draußen und wirkt beunruhigt. Ganz offenkundig ist es nicht die Gegend, die sie erwartet hat. «Hier wohnst du?»
«Ja, warum? Ist das ein Problem?»
«Ähm. Nein, natürlich nicht.»
Frannie betrachtet den verrosteten blauen Impala und den verbeulten Ford-Lieferwagen, zwischen denen ich geparkt habe.
Mittlerweile hat der Himmel sich zugezogen und ist so grau wie die Umgebung. Die vier zweistöckigen Betonklötze waren einmal weiß, doch Jahrzehnte des Schmutzes und Smogs haben ihnen ein rußiges Aussehen verliehen. Die Fenster sind größtenteils noch heil, nur hier und da ersetzen Pappe und Klebestreifen die Scheiben. Über das Brachland weht der Frühlingswind eine Plastiktüte, die sich in dem dürren Strauch vor der Eingangstür verfängt.
Frannie will sich offenbar nichts anmerken lassen, öffnet die Tür und steigt aus. «Na, dann los.»
«Wie Ihr wünscht, Mylady.» Ich halte Frannie die Eingangstür auf. Zögernd tritt sie über die Schwelle und folgt mir dann über die versiffte Treppe hoch in den ersten Stock. Der Flur ist nur spärlich beleuchtet. Ich schließe die Tür zu meiner Wohnung auf.
«Sind deine Eltern bei der Arbeit?», erkundigt Frannie sich. Ich schalte das Licht in der Wohnung an.
«Vermutlich.»
Frannie folgt mir. «Wann kommen sie denn nach Hause?» Höre ich da etwa ein kleines Zittern in ihrer Stimme?
«Keine Ahnung.»
«Wann kommen sie denn normalerweise nach Hause?»
«Keine Ahnung.» Frannie starrt mich an. «Ich habe sie nie gekannt.» Das ist nicht einmal gelogen, denn Dämonen sind nicht gerade Mustereltern.
«Oh. Tut mir leid.» Ihr Blick wandert zu dem grauen Fußboden, auf dem fröhliche gelbe Linoleum-Gänseblümchen versuchen, sich gegen den Schmutz aus vielen Jahren durchzusetzen. «Wer wohnt denn dann noch hier?»
«Niemand.»
Ihr Blick zuckt zu mir herüber. «Du wohnst ganz allein?» Grapefruitgeruch weht mir entgegen. Frannie hat Angst. Sehr gut.
«Warum denn nicht?»
Ihr Blick huscht zur Tür. Vermutlich überlegt sie, wie schnell sie draußen sein kann.
«Sollen wir lieber zu dir gehen?», schlage ich vor.
«Ähm, ich weiß nicht recht. Bleiben wir besser hier.» Offenbar möchte sie sich meine Begegnung mit ihren Eltern nicht noch einmal antun.
«Kein Problem.» Ich öffne die Kühlschranktür. «Möchtest du ein Bier?» Zwar ist mein Kühlschrank gähnend leer, aber zum Glück weiß ich, wie man zwei kalte Dosen Bier erscheinen lässt.
«Vielleicht sollten wir vorher die Zusammenfassung machen.»
Ich mache die Bierdosen auf und reiche ihr eine. «Hier, nur zur Entspannung. Danach fällt einem das Arbeiten leichter.» Ich nehme einen tiefen Schluck. Frannie betrachtet zögernd ihre Bierdose, trinkt dann aber und schaut sich um.
Ich bin ein Dämon, kein Schwein. Folglich ist meine Wohnung relativ sauber. In meiner Küche stapelt sich kein schmutziges Geschirr mit verschimmelten Essensresten. Einer der Vorteile, wenn man keine Nahrung braucht. Allerdings fehlen deshalb auch Tisch und Stühle. Die beiden Hängeschränke sind schwarz gestrichen, die ehemals weißen Wände leicht angegraut. Unter der blätternden Farbe scheint hier und da der Putz hervor.
Küche und Bad gehen von dem einzigen Zimmer meiner Wohnung ab. Die Toilette ist ebenfalls sauber, ein weiterer Vorteil, wenn man kein Verdauungssystem besitzt. Das Zimmer ist klein und wird fast vollständig von einem großen schwarzen Bett mit schwarzem Laken, schwarzer Decke und zahlreichen schwarzen Kissen eingenommen. Darunter befindet sich ein dicker schwarzer Teppich.
«Das ist ein ziemlich großes Bett», stellt Frannie beim Anblick der schwarzen Fläche fest. Gleich darauf wird sie rot.
«Und unheimlich bequem», stimme ich ihr zu.
Frannie senkt den Blick, ehe sie das Zimmer weiter in Augenschein nimmt. Zögernd geht sie auf die Bilder zu, die an der Wand neben der Küchentür hängen. Drei davon sind Doré-Illustrationen. Meine Lieblingsszenen aus Dantes Inferno. Das dritte Bild ist ein Druck von William Blakes The Temptation of Eve . Der Höhepunkt von König Lucifers Karriere.
Anschließend wandert Frannie an der Badezimmertür vorbei, deren Rückseite aus einem Spiegel besteht, in dem sie mich verstohlen beäugt. Vor der Bücherregalwand am Fuß des Bettes bleibt sie stehen, bückt sich und nimmt die uralte und abgenutzte Ausgabe von Dantes
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