Angel Eyes. Zwischen Himmel und Hölle (German Edition)
überhaupt irgendetwas herumsteht. Meine Mutter bringt auf jeder freien Fläche Fotos von uns an und stellt in jeder Ecke irgendwelchen Nippes auf. Ich lasse mich auf dem Sofa nieder. Doch so nüchtern und kalt, wie es aussieht, fühlt es sich nicht an. Es ist sogar ziemlich weich und gemütlich.
«Ich habe eine Medizin, die jeden Kummer lindert.» Gabe verschwindet in die Küche. Ich hole mein Physikbuch aus der Tasche. Kurz darauf kehrt Gabe zurück, in der Hand einen Riesenbecher Mokka-Eiscreme, dazu zwei Löffel. Er setzt sich zu mir und schaltet den iPod an, der auf dem – natürlich ebenfalls weißen – Sofatisch liegt. Die Musik, die ertönt, scheint aus allen Richtungen zu kommen, sogar von oben.
«Macht es dir was aus, mit mir aus einem Becher zu essen?»
«Natürlich nicht.» Ich schnappe mir einen Löffel und schaufele mir eine Portion Eis in den Mund. «Das ist meine Lieblingssorte.»
«Siehst du», sagt Gabe. «Jetzt geht’s dir schon besser.»
Dankbar lächele ich ihn an, denn er hat recht. Ich weiß nicht, ob es an ihm oder dem Eis liegt, aber im Moment ist mir absolut egal, ob Luc gerade seine Cousine vögelt oder nicht.
Nein, egal ist übertrieben, aber wenigstens will ich ihn jetzt nur noch ein bisschen umbringen und auf humanere Weise als zuvor. Beispielsweise würde ich mich mit einem Messer oder einem Gewehr begnügen, statt ihn mit bloßen Händen zu erwürgen.
Als der Becher leer ist, lehne ich mich zufrieden zurück. Mir fällt ein, dass wir mit dem Laborbericht anfangen sollten. Aber eigentlich habe ich dazu gar keine Lust.
Gabe legt einen Arm um meine Schultern. «Ist jetzt alles wieder gut?»
«Ja.» Ich lehne mich an ihn und kann nicht begreifen, warum ich mich immer noch nach Luc sehne.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, streichelt Gabe mir mit kühler Hand die Wange und dreht mein Gesicht zu sich herum. «Vergiss ihn. Er ist ein Idiot.» Wie Luc schaut er mir tief in die Augen, als wolle er in meiner Seele lesen.
Wie aus dem Nichts übermannen mich die Gefühle, so heftig, dass ich am liebsten weinen würde. Ich schließe die Augen, lausche der Musik und schlucke die Tränen herunter. Doch dann sehe ich im Geist Lucs Gesicht. «Er ist ein Idiot», bestätige ich und versuche, selbst daran zu glauben.
Zart wie Schmetterlingsflügel berühren Gabes Lippen meine Stirn. Und noch ehe ich weiß, was ich tue, ziehe ich sein Gesicht zu mir heran und presse meine Lippen auf seinen Mund. Gabes Atem stockt, und für einen Moment scheint er zu zögern, doch dann drückt er mich fest an sich. Seine Lippen öffnen sich. Ich schmecke etwas Frisches und Süßes.
Und plötzlich strömt Friede in mich hinein, so tief und allumfassend, dass ich nicht mehr weiß, wie sich Zorn, Hass und Schmerz anfühlen. Nur Liebe ist in mir, grenzenlos und bedingungslos. Gabes Kuss wird intensiver, und ich will nie mehr von hier fort.
Langsam lösen sich seine Arme von mir. Ich schaue in seine unergründlichen blauen Augen, zart fährt Gabe mit dem Finger über meine Lippen. Schließlich komme ich wieder zu mir, nehme das Zimmer ringsum wahr und frage mich, wie lang wir uns geküsst haben. Denn seltsamerweise kommt es mir vor, als wäre es nur ein Augenblick gewesen und hätte doch eine Ewigkeit gedauert. Gabe umfasst meine Schultern und drückt mich sanft zurück auf die Couch. Erst da wird mir klar, dass ich halb auf seinen Schoß geklettert bin, so nahe wollte ich ihm sein.
Mit geschlossenen Augen legt er seine Stirn an meine. «Ich fahre dich besser nach Hause», flüstert er kaum hörbar. Als er die Augen öffnet, erkenne ich Bedauern in seinem Blick. Dann steht er auf und geht zur Tür.
All das Friedvolle in mir verfliegt. Stattdessen bin ich gekränkt und frustriert. Wortlos springe ich auf, stecke mein Physikbuch ein und werfe mir die Tasche über die Schulter.
«Findest du mich denn so abstoßend?», frage ich Gabe an der Tür.
«Nein», entgegnet er im Hinausgehen. «Aber mich.»
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Kapitel 14 Wenn man dem Teufel den kleinen Finger reicht ...
Luc
Nach dem, was gestern passiert ist, bin ich so durcheinander wie noch nie in meinem jämmerlichen Leben. Am Vormittag habe ich im Englischunterricht neben Frannie gesessen. Ich wollte etwas sagen und sie berühren, die Frage war nur, was und wie. Stattdessen habe ich wie versteinert dagesessen und Höllenqualen durchlitten, die es mit jedem Fegefeuer hätten aufnehmen können. Für den Rest des Tages ist Frannie mir
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