Angel Eyes. Zwischen Himmel und Hölle (German Edition)
Gedanken zu sein. Ich lehne meinen Kopf zurück und schaue stumm auf die Straße. Als wir an Taylors Haus vorbeifahren, zuckt ein Blitz durch mein Gehirn.
Nein, bitte nicht.
Vor Schmerz schließe ich die Augen. Denn vor mir sehe ich Taylors Vater, der auf seinem Bett liegt – und nicht mehr atmet. Mir wird so übel, dass ich weiß, gleich muss ich mich übergeben.
«Halt an!», keuche ich und öffne die Augen. Doch Gabe ist mir zuvorgekommen, denn wir stehen bereits. Würgend stoße ich die Autotür auf und erbreche mich auf den Bürgersteig. Mit tränenden Augen sehe ich zu Gabe hoch. Er wirkt erstaunlich ruhig, das nehme ich eben noch wahr, ehe ich mit einem Satz aus dem Wagen bin und über die Stufen hoch zum Eingang von Taylors Haus laufe. Wie verrückt hämmere ich an die Tür und drücke gleichzeitig die Klingel. Die Tür geht auf.
«Sag mal, spinnst du?», fragt Taylor und sieht mich mit zusammengezogenen Brauen an.
«Wo ist dein Dad?»
«Er schläft. Warum? Was ist denn los?»
«Wir müssen nach ihm sehen. Jetzt gleich.»
«Aber sonst geht’s dir gut?»
Wortlos schubse ich sie aus dem Weg und renne die Treppe hoch. Taylor kommt mir nach und krallt sich so fest in mein T-Shirt, dass ich fast das Gleichgewicht verliere und haltsuchend nach dem Geländer greife. Taylor lässt mich nicht los, und deshalb schleppe ich sie einfach hinter mir her.
«Spinnst du?», keucht sie in meinem Rücken. «Hast du noch nie gehört, dass man nicht einfach so in fremde Schlafzimmer platzt?»
Ohne Taylor zu beachten, laufe ich weiter und stoße die Tür zum Schlafzimmer auf. Auf dem Bett liegt Taylors Vater, so wie ich ihn gesehen habe – nur dass seine Brust sich hebt und senkt. Mr. Stevens schläft.
«Entschuldigung», flüstere ich erschrocken und wende mich zu Taylor um, die mich hinaus in den Flur zerrt. «Aber ich dachte wirklich …» Noch einmal werfe ich einen Blick zurück. Und da entdecke ich das leere Tablettenglas auf dem Teppich und schiebe Taylor zur Seite. Auch auf dem Nachttisch befinden sich drei Tablettengläser – allesamt leer.
Im Bruchteil einer Sekunde bin ich bei Mr. Stevens. «Wähl den Notruf», schreie ich Taylor an und schüttele ihren Vater. «Mr. Stevens, wachen Sie auf! Bitte – können Sie mich hören?»
Nichts.
Wie gelähmt steht Taylor auf der Schwelle. Panisch greife ich nach dem Telefon auf dem Nachttisch und wähle die Nummer des Notrufs. Noch während ich stammelnd erkläre, was passiert ist, taucht Gabe im Türrahmen auf und legt einen Arm um Taylor. Sie bemerkt ihn kaum. Reglos und mit weit aufgerissenen Augen starrt sie zu ihrem Vater hinüber.
Fünf Minuten später kommt der Rettungswagen. Sanitäter poltern die Treppe hoch, legen Mr. Stevens auf eine Trage und bringen ihn nach unten und aus dem Haus. Taylor folgt ihnen wie in Trance. Kurz bevor sie in den Rettungswagen einsteigt, dreht sie sich zu mir um. In ihrem Blick liegt eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Verlegen hebe ich die Schultern. Taylor wendet sich ab und klettert in den Wagen. Mit heulender Sirene fahren sie davon. Plötzlich löst meine Anspannung sich in Tränen auf. Gabe tritt zu mir und führt mich zu seinem Auto.
«Du hast eine sehr gute Tat vollbracht», sagt er und drückt mich an sich. Woher ich von dem Selbstmordversuch wusste, fragt er mich nicht. Schweigend streicht er mir über die Haare.
«Es war meine Schuld», schluchze ich.
Gabe hebt mein Kinn an und schaut mir in die Augen. Dann fährt er mit den Lippen über meine Stirn, meine Wangen und streift meinen Mund. «Hör auf damit», bittet er mich leise. «Du darfst dir nicht immer die Schuld geben, wenn irgendwo etwas Schreckliches geschieht.»
Ich schiebe ihn fort. «Ich wollte mit meinem Vater reden. Ich wollte, dass die Kirche Taylors Familie hilft.» Stattdessen habe ich mich nur um meine eigenen kleinen Probleme gekümmert und Taylors Familie vergessen. Wie eine Woge branden meine Schuldgefühle auf und schlagen über mir zusammen. Ich habe es verdient, mich mies und widerlich zu fühlen.
Gabe fährt mich die kurze Strecke bis nach Hause. In der Einfahrt schaut er sich aufmerksam um, genau wie Luc neulich abends. Ich setze meine Sonnenbrille auf, denn ich will nicht, dass meine Mutter meine verheulten Augen sieht. Gabe begleitet mich zur Tür.
«Geht’s wieder?», fragt er so sanft und mitfühlend, dass mir erneut die Tränen kommen.
«Ja.»
«Bleibst du für den Rest des Tages zu
Weitere Kostenlose Bücher